Montag, 10. Dezember 2007

Zehn Fragen für die Zukunft

Die neuen alten Grundfragen der Geisteswissenschaften
Jochen Hörisch
1. Gibt es universale Werte?
oder sind die Menschenrechte (die Idee der universal gültigen Menschenrechte) ein kulturrelatives Produkt?
2. Stiftet Religion Frieden?
oder: wenn und weil es um letzte Wahrheit geht, neigen Köpfe in dem Maße zur Militanz, zur Mission, in dem sie fromm sind?
3. Soll man das Gute um jeden Preis wollen?

Mephisto stellt sich Faust als jemand vor, der stets das Böse will und stets das Gute schafft. Die Umkehrung: das Gute wollen und damit das Böse freisetzen (Robespierre, Trotky)
4. Warum sprechen wir miteinander?
Ist Kommunikation konsensorient (weil wir uns verstehen) oder dissensorientiert (weil und insofern wir Differenzen haben)?
Diskursieren; - dis-currieren; auseinanderstreben
5. Wer bin ich?
Ein mengentheoretisches Dilemma (B. Russels Barbier von Sevilla)
6. Warum gibt es Tabus?
Kulturelle Atraktivität des Inzests durch die Sprengung von logischen Gesetzen?
Tertium non datur: Wenn Ödipus mit Iokaste eine Tochter zeugten, diese Tochter und Schwester des Ödipus.
7. Gibt es einen freien Willen?
Am besten bei den Quantenmechanikern nachfragen (Schrödinger)
8. Wind Interpretationen beweisbar?
9. Bildet Sprache Wirklichkeit ab?

Es gibt keine Feen und keine Drachen, auch kein gegenwärtiger König von Frankreich, aber auch kein reales "kaum" oder "nicht". Aber auch mehr Sein als Sprache.
Das Verhältnis von Sprache und Sein ist systematisch instabil.
Ist es sinnvoll, nach dem Sinn des Sinns und der Bedeutung von Bedeutung zu fragen?
10. Warum und worüber lächelt die Mona Lisa?
DS 47/2007

Freitag, 7. Dezember 2007

Raus aus dem Tunnel

DS 46/2007



Der Historiker Sebastian Conrad will die nationalstaatliche Perspektive überwinden.



Die Globalisierung, die wir heute erleben, ist nämlich, anders als in der propagandistischen Darstellung, keine neue Erfahrung. Schon das späte 19. Jahrhundert war eine Hochphase der weltweiten Interaktion und der Austauschprozesse, bevor nach den zwei Weltkriegen eine Epoche der Abschottung einsetzte.

Nationalgeschichtlicher Tunnelblick: eine auf Europa und die USA fixierte (nach Voltaire musste man gar sagen "frisierte") Perspektive.

Die Grundbedingungen für die Globalisierung waren am Ende des 19 Jahrhunderts bereits vereint: Transport, Kommunikation und Mobilität.

Das 19. Jh verstand sich selbst als "Jahrhundert der Arbeit"; der sich entwickelnde Wohlfahrtsstaat war auf die lohnabhängige Arbeit gegründet, ohne die der Ausbau der Sozialgesetzgebung nicht möglich gewesen wäre. Arbeit wurde eine moralische Kategorie, wer als "arbeitsscheu" galt, schloss sich aus der Gemeinschaft aus, eine Exklusion, die auch noch in Hartz VI nachklingt.



Fortschritt

Modernität wurde früher nur linear verstanden, jeweils ein Schritt nach dem anderen auf der Zeitachse; rückständige Gesellschaften lagen einfach nur eine Zeitkapsel zurück. Diese Weltanschauung stützte sich auf ein westliches Wertesystem, das sich selbst als universalistisch betrachtete. Heute koexistieren vielfältige Modernitäten, die keinen kulturellen Hegemonieanspruch mehr zulassen. Noch der Kommunismus war eine Utopie der Gleichförmigkeit. Heute hat der Respekt vor kultureller Differenz eine historische Priorität (bullshit!).

Statt der Zeit entdeckt die moderne Geschichtsforschung die Räumlichkeit wieder.

Mittwoch, 24. Oktober 2007

Die Anatomie des Irrtums

Immer wenn der Mensch eigene Fehler erkennt, zuckt eine rätselhafte Elektrowelle durch sein Hirn. Forscher sehen einen Mechanismus am Werk, der erklärt, warum Menschen zaudern, wie Neurosen entstehen und was Süchte sind. Liegt hier auch das Geheimnis der Intuition verborgen?

Eigene Irrtümer sind eine der kostbarsten Quellen derErkenntnis.
"Fehler sind das Tor zu neuen Entdeckungen" (James Joyce).

Unser Gehirn besitzt die faszinierende Fähigkeit, Fehler aufzuspüren und, falls sie bereits passiert sind, aus den Erfahrungen zu lernen.

"Error-related Negativity" (ERN): eine charakteristische Spannungswelle unter der Schädeldecke, die sich immer dann messen lässt, wenn das Hirn registriert, dass es einen Irrtum begangen hat. Das ERN-Signal flackert bereits auf, ehe der Mensch sich seines Fehlers überhaupt bewusst ist.
In einem bestimmten Ensemble von Nervenzellen fällt die Spannung um gute zehn Millivolt - und zwar bereits 100 Millisekunden nachdem der Mensch einen Irrtum begangen hat.
Plötzlich wird klar, warum der Mensch oftmals aus einem Bauchgefühl heraus einen bestimmten Fehler vermeidet.
Die Eriksen-Flanker-Aufgabe: SSHSS - SSSSS - HHSHH
Unmittelbar nach der ERN-Welle stellt das Mittelhirn schlagartig die Produktion des Glückshormons Dopamin ein.
Die Menschen ändern ihre Entscheidungsstrategie, sie beginnen aus ihren Fehlern zu lernen.
Diese schwierige Kalkulationen bewältigt das Gehirn online, also permanent, während es sich gleichzeitig mit vielen anderen Dingen beschäftigt.

Katastrophen: Kombination aus schlechter Vorbereitung und Stress.
Häufig es nur ein schmaler Grat zwischen der Katastrophe und dem Entdecken eines Fehlers (der Jumbocrash auf Teneriffa 1977).

Der Versuch mit dem Nicht-Hinschauen auf das aufleuchtende helle Licht (die Neugier des menschlichen Gehirns ist viel zu groß). Die Probanden machten immer wieder Fehler, korrigierten diese auch und verbesserten sich im Verlauf des Experiments. Auch die typische ERN-Welle durchzuckte, wie erwartet, ihre Großhirnrinde.
Ein großer Teil der Fehlerverarbeitung läuft im Unbewussten ab (ein neuronales Korrelat der Intuition).
Könnte es sein, dass zauderhafte Menschen einfach große Angst vor Fehlern haben während forschauftretende Macher ein vergleichsweise abgestumpftes Fehlerwarnsystem in ihrer grauen Hirnmasse haben?
Bei Menschen, die sich zwanghaft waschen oder einen anderen Kontrollzwang haben: "Bei ihnen ist das Überwachungssystem so mächtig, dass sie sich mit kaum etwas anderem beschäftigen können, als sich dauernd zu überwachen."
Am anderen Ende der Entschlossenheitsskala (Kokainabhängige oder Alkoholiker): "Nicht nur, dass sie sich häufig falsch entschieden, sie bemerkten ihre Fehler auch nicht, und vor allem: Sie änderten ihre Strategie nicht."
Hat der Alkohol erst einmal das Hirn vernebelt, fehlt die Fehlerwelle im Gehirn.
DS 38/2007 S. 180ff

Montag, 1. Oktober 2007

Das Ich ist eine Einbahnstraße

Der Hirnforscher Gerhard Roth über das Entstehen von Persönlichkeit, die Schwierigkeit, sich und andere zu ändern, die neuronale Automatisierung menschlichen Verhaltens und das kollektive Scheitern der deutschen Pädagogik vor Hitler
DER SPIEGEL 35/2007

Man kann sich Disziplin von außen ankonditionieren lassen, aber kaum von selbst einhalten
Das Unbewusste ist eine Urform unseres Selbst; die psychische Grundausrüstung, mit der wir auf die Welt kommen. Man kann es auch Temperament nennen, eine Art Persönlichkeits-Ursuppe. Die Weichen stellt das limbische System, eine Art Schaltzentrale der Gefühle, das ab der sechsten Schwangerschaftswoche entsteht, dadurch wird die emotionale Klaviatur festgelegt, die dem Menschen später zur Verfügung steht. Den Eltern bleibt nur der Feinschliff.
Die Phase der bewussten sozialen Prägung dauert bis zum 20. Lebensjahr, bis dahin ist der orbitofrontale Cortex, in dem die Ergebnisse unserer Erziehung abgespeichert sind, ausgereift.

Wir sehen uns selbst immer nur so, wie es da Unbewusste, das Kleinkind in uns zulässt. Und das hat gelernt, wie es sich sehen muss, damit es sich gut fühlt.
Erziehung ist immer der Versuch, dieses entweder verbitterte oder großartige, narzisstische Kleinkind an Welt anzupassen.
Der Therapeut hat den Vorzug, nicht Tel des festgefügten Innenlebens Patienten zu sein. Er muss sich damit begnügen, neurotisches Elend in gewöhnliches Unglück zu verwandeln (Freud).
Das hypertrope, unersättliches Kleinkind, das auch durch zwei Nobelpreise oder 10 Milliarden Einkommen nicht befriedigt wird. Ausgesprochene Erfolgsmenschen und sensation seekers: deren Gehirn verlangt nach immer stärkeren Reizen für das Dopamin-System: mehr Sex, mehr Erfolg, mehr Drogen, immer auf der Überholspur, sonst bleiben die guten Gefühle aus. Irgendwann sind diese Menschen tot - oder sie vollziehen scheinbar plötzlich den kompletten Umschwung. In Wirklichkeit hat er sich unbewusst schon lange angebahnt. Das kennen wir aus der Physik als Phasenübergang: Bei scheinbar stabilen Systemen werden die Ausschläge immer größer, und plötzlich springen sie um in einen neuen Zustand.
Ein unentwickeltes Ego schwankt von äußerer Sinnstiftung zur inneren, in der Hoffnung auf Befriedigung. Die unreife Persönlichkeit hat noch nicht akzeptiert, dass wir alle mit einem minimalen Sinn des Lebens auskommen müssen. Was sie vorher im Rausch nicht fand, sucht sie in irgendwelchen Ideologien, an denen sie festhält. Denken Sie an die rechtsradikalen und wohl auch linksradikalen Jugendlichen: Die haben einfache Wahrheiten und schwache Egos.

Zur Kreativität und Intelligenz kann man kaum erziehen, die sind hochgradig angeboren.
Die meisten Hochbegabten sind nett und vielseitig. Menschen mit einer ausgeprägten Inselbegabung in Mathematik und Musik dagegen leiden statistisch häufiger unter Empathiedefiziten.
Die positiven Gefühle, die man erlebt, sickern aus Regionen, die unser bewusstes Handeln steuern, in die Basalganglien ein. Auf diese Weise verselbständigt sich alles, was wir häufig tun. So entstehen unsere sekundären Charakterzüge, sie werden mit zunehmendem Alter gefestigt.

Wenn Menschen erst einmal ihre Persönlichkeit ausgebildet haben, suchen sie sich fortan eher eine Umwelt, die zu ihnen passt, als dass sie sich ihrer Umwelt anpassen.

Dem Vorgesetzten bleibt nur das Mittel der Belohnung. Das Erste, was er rauskriegen muss, ist die Belohnungsstruktur seiner Mitarbeiter. Denn vom ersten Tag des Lebens an fragt unser Hirn: Lohnt sich das für mich?
Der Chef muss ein guter Psychologe sein: Der eine will Lob, der andere befördert werden, der Dritte Privilegien, der Vierte soziale Anerkennung, mit dem muss man jede Woche mindestens einmal redet.
Strafe geht nach hinten los. Meist wird sie als ungerecht empfunden; das erzeugt Rachegefühl.


Die "schwarze Pädagogik" mit ihrem Kasernendrill in Deutschland: man kann nicht sagen, das das Gros der Kriegsgeneration aus unserer heutigen Perspektive wirklich völlig normale Menschen waren.

DER SPIEGEL 35/2007

Freitag, 21. September 2007

Geliebter Affe

Neue Erbgut-Vergleiche zeigen: Die Vorfahren von Menschen und Schimpansen hatten artübergreifend Sex und zeugten Bastarde - aus denen dann der Homo sapiens hervorging.
DS 21/2006

Die Linien der Schimpansen und der Menschen waren bereits getrennt, dann jedoch haben sie wieder Gene miteinander ausgetauscht.
Denkbar ist, dass Vormenschenfrauen zu äffischen Liebhabern fanden. Söhne aus diesen Mischbeziehungen waren wohl unfruchtbar. Die hybriden Tochter indes wuchsen bei ihren Müttern in der Vormenschen-Sippe auf. Später zeugten sie mit den Männern des Clans ganz besondere Kinder - es waren die Vorfahren der heutigen Menschen.

Sonntag, 16. September 2007

Schimpansen, Bonobos und wir

Hippie oder Killeraffe?

Frans de Waal über blutrünstige Schimpansen und sexsüchtige Bonobos, den Ursprung der Familie und das Wesen des Menschen


Wilde Schimpansengruppen ziehen wie Gangs gegen Feinde zu Felde.
Der Bonobo ist uns so nahe verwandt wie der Schimpanse.

Wilde Bonobos leben in einer reichhaltigeren Umgebung. Im Gegensatz zu den Schimpansen haben sie mehr als genug z essen, so dass die Bonobofrauen alle gemeinsam umherziehen können. Dabei bilden sie Koalitionen, helfen einander, verteidigen sich, so dass sie nicht von den Männern beherrscht werden (ein Matriarchat), wobei nicht einzelne Bonobofrauen dominant sind, sondern sie alle -als Gruppe. Und innerhalb deren haben meistens die älteren das Sagen.
Für weibliche Bonobos lohnt es sich kaum, ständig um ihren Platz innerhalb der Hierarchie zu kämpfen, weil es ihren Reproduktionserfolg nur wenig erhöht. Ranghohe Bonobofrauen haben zwar besseren Zugang zu Nahrung für ihre Jungen. Dieser Vorteil ist jedoch minimal, verglichen mit den Vorteilen, die ranghohe männliche Schimpansen genießen. Für die übersetzt sich Dominanz direkt in mehr Nachwuchs - daher die oft brutale Konkurrenz.

Eine Studie aus Finnland:
Kinder, die sich gezankt hatten, wurden gefragt, wie lange sie wohl noch wütend aufeinander sein würden. Die Jungs sagten stolz: "Oh, mindestens ein oder zwei Tage." Die Mädchen sagten: "Für immer".

Die Bonobomännchen haben viel weniger Stress und leben länger als männliche Schimpansen.
Bonobos haben siebenmal häufiger Sex als Schimpansen. Aber es sind kurze Begegnungen, sie dauern im Schnitt 14 Sekunden. Sex ist bei ihnen wie Händeschütteln. Und sie tun es in allen Stellungen. Diese Kamasutra-Primaten stimulieren sich oral, mit Händen, sie treiben es sogar kopfüber hängend. Vor allem aber; homosexuell, heterosexuell, in allen Kombinationen. Nur Mutter-SohnSex wird vermieden. Sie haben im Unterschied zu Schimpansen auch dann Sex, wenn die Bonobofrauaen überhaupt nicht empfänglich sind.
So viel viel Sex verhindert den Infantizid. Da die Bonobomänner mit allen Bonobofrauen Sex haben, wissen sie nicht ob ein Kind vielleicht ihres ist (Vaterschaftsverschleierung). Schimpansinnen haben eine andere Strategie. Sie verlassen die Gruppe kurz vor der Geburt ihrer Kinder und bleiben den gefährlichen Männerbünden jahrelang fern.. Bei Menschen verhindert die Familie die Kindstötung. Die Kernfamilie aus Mutter, Vater und Kindern ist neben der Sprache der größte Unterschied zwischen uns und und den anderen Menschaffen. Der Schritt vom Wald in die Savanne machte uns zur leichten Beute. Plötzlich fehlte der Fluchtweg auf die Bäume. Besonders Frauen mit ihren Babys mussten beschützt werden, und zwar aktiv von Männern. Nur deren Hilfe machte es dann auch möglich, das die Frauen die Kinder in kürzeren Abständen zur Welt brachten, vielleicht alle zwei oder drei Jahre. Sie bekommen damit doppelt so häufig Nachwuchs wie die Menschaffen. Diese schnelle Reproduktion ist einer der Gründe, warum wie heute die Welt besiedeln und nicht sie.
In so einem System wird es für jeden Mann extrem wichtig, dass seine Frau nicht fremdgeht und er am Ende den Nachwuchs eines anderen großzieht. Männer kontrollieren daher geradezu zwanghaft ihre Frauen.

DS 34/2006
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Dromologie und Panik als Lebensform

Paul Virilio
Dromologie: Wissenschaft der Geschwindigkeit
Dromos: Rennbahn
"Ville panique"
Hochhäuser als vertikale Sackgassen

Besinnung braucht Zeit, während die Geschwindigkeit den Raum vernichtet und die Zeit verdichtet - ein sicherer Weg in die Katastrophe.

Die äußerst heftige Kritik an der trostlosen Architektur der französischen Vorstädte führt jetzt zu einer systematischen Zerstörung der gewaltigen Wohnriegel und Türme im Großraum Paris - ein symbolischer Selbstmord des kollektiven Lebens in der Kosmopolis.
Die rituellen Feiern, die solche Sprengungen als Massenspektakel begleiten, deutet Virilio als freiwillige Hinrichtung von modernem Lebensraum. Doch vor der pyrotechnischen Implosion fand die politisch Implosion statt, welche die ursprünglich idyllischen Vororte, wo einmal der Impressionismus entstand, in zivilitations- und rechtlose Ghettos verwandelte - durch die Konzentration mittelloser, kinderreicher Einwanderer aus Nord- und Schwarzafrika, die in der "Bannmeile", die banlieue vor den Toren der großen Stadt, eingesperrt wurden. Aus der "Kosmopolis" wurde die "Klaustropolis", die Stadt im Belagerungszustand, die sich vor den Ausgeschlossenen fürchtet und den Feind im Innern mit Notstandsgesetzen und Ausgangssperren draußen zu halten versucht.
Seither beginnt das Auswärtige mitten unter uns, die Staatsgrenzen verlaufen innerhalb der Stadtgrenzen, die Geopolitik wird im Zeichen der Globalisierung hinfällig und schläft um in Metropolitik.

In dern brennenden Votstädten offenbart sich die "Demokratie der Emotion". In ihr ist die Reflexion abgeschaltet.

Der Unfall ist das Ereignis, der Fortschritt die Katastrophe, die Panik die Reaktion der Massen im Zeitalter des Masenindividualismus.


DS 47/2005

Donnerstag, 23. August 2007

Milchquoten und Sofamelker

Die globale Milchnachfrage steigt um jährlich 2,5 bis 3 Prozent, die Produktion kommt aber nur ein Prozent voran. Plötzlich liegt der Weltmarktpreis über dem EU-Erzeugerpreis.
...
Sofamelker: Landwirte, die ihre Melkquote verkaufen oder verpachten (auf Börsen, die dreimal jährlich stattfinden).
Die Milchquoten wurden 1984 in Zeiten riesiger Milchseen und hoher Butterberge eingeführt.
DS 32/2007

Du bist das Netz

Noch Ende der achtziger Jahre konnte die Britannica für ihre Gesamtausgabe etwa 2000 Dollar verlangen. Jetzt wird das aufwendig erarbeitete Geistesmonument für rund 30 Dollar auf CD-Rom verscherbelt. Vergleichbare Qualität gibt es dafür bei Wikipedia völlig kostenlos - wenn an einer Untersuchung der Wissenschaftszeitschrift folgt.
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"User generated content" und "social networks"

Eine wirkliche Revolution in den Massenmedien, müsse nicht die Manipulateure zum Verschwinden bringen, sondern jeden zum Manipulateur machen, schrieb Hans Magnus Enzensberger vor 36 Jahren.
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Eine "Best-of-Gesellschaft": eine Gesellschaft, die nur noch auf Höhepunkte fixiert ist.
DS
29/20006

Mittwoch, 4. Juli 2007

Montag, 2. Juli 2007

Gipfel der Ungerechtigkeit

Der Spiegel 23/2007
Stahlfabrikanten aus Indien, Ölbarone aus Russland, Internet-Unternehmer aus China: Nie zuvor ist der Wohlstand so schnell gewachsen - doch nie war er so ungleich verteilt. Die globale Konfliktlinie zwischen Arm und Reich provoziert Spannungen. Wie lässt sich der Gegensatz überwinden?

Dubai
Ein indischer Immobilienmakler kassiert monatlich 10.000 € gebaut€; die Häuser die er vermittelt, werden ebenfalls von einem 20 jähriger Inder gebaut, er erhält monatlich einen Scheck von umgerechnet 196 €.
Die reichsten Menschen in der Geschichte - von Krösus bis Henry Ford - waren nicht so reich, wie die reichsten Menschen heute. Die ärmsten Menschen aber sind heute genauso arm, wie sie es immer waren (Bob Cutcliffe, Vermögensforscher der Uni Bilbao).
2,7 Mrd. Menschen, etwa 40% der Erdbevölkerung leben von weniger als zwei Dollar täglich. Die insgesamt 946 Milliardären, die das US-Magazin Forbes in diesem Jahr gezählt hat (153 mehr als im Vorjahr) besitzen ein Vermögen von 3,5 Billionen Dollar, ein Plus von 35%; einen solchen Anstieg gab es noch nie. Diese nicht mal tausend Personen verfügen über mehr Werte, als die gesamte deutsche Volkswirtschaft in einem Jahr an Waren und Dienstleistungen produziert.
Da kühlen Barkeeper Cocktails mit Gletschereis aus Island, gleichzeitig haben 1,2 Mrd. Menschen keinen direkten Zugang zu sauberem Trinkwasser.
11:13
Niemals zuvor in der Geschichte war der Traum, die globale Armut zu beseitigen, so leicht erreichbar - und zugleich so schwer fassbar
Eine weltweite Klassengesellschaft formiert sich, ihre Mitglieder leben zuweilen in direkter Nachbarschaft. In Rio trennt sie nur eine Schnellstraße (Rocinha vs. San Conrado).
John Rawls: Ungleichheit lasse sich so lange tolerieren wie jedem der Aufstieg offenstehe und selbst die größten Verliere ihre Chance ergreifen könnten.
Jeder sechste Amerikaner kann sich nicht mal eine Krankenversicherung leisten.
Ausgerechnet jetzt, da die Weltwirtschaft brummt, gerät der Kapitalismus in eine Legitimationskrise, die protektionistischen Rufe werden lauter.
Bist in die siebziger Jahre des 20. Jh näherten sich Arm und reich weiter an, seitdem vergrößert sich der Abstand wieder.
1870 lag das Pro-Kopf-Inlandsprodukt der damals zehn reichsten Länder nur sechsmal höher als der Durchschnittswert der zehn ärmsten Länder. Inzwischen beträgt der Faktor 42.
Der Gini-Koeffizient (vor 95 Jahren entwickelt): In den USA im letzten Jahrzehnt von 0,35 auf 0,42 gestiegen. In Brasilien und Südafrika beträgt er 0,60
11:22
Stellt man die ärmere Hälfte der Menschheit der reicheren gegenüber, zeigt sich, dass die unteren 50% aufgeholt haben.Vergleicht man aber weiter voneinander entfernte Einkommensgruppen miteinander, z.B. das oberste mit dem untersten Prozent, so ist die Kluft erheblich gewachsen; Die 65 Mio. Reichsten dieser Welt verdienen 564-mal mehr als die 65 Mio Ärmsten; 1980 waren es erst 216-mal mehr. D.h.: Die Kluft zwischen den Industriestaaten und den Schwellenländern ist, Afrika einmal ausgenommen, kleiner geworden. Vor allem China und Indien, die immerhin über ein Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren, holen mächtig auf. Aber innerhalb der Länder nimmt die Ungleichheit teilweise dramatisch zu.
Russland:
Von 1989 bis 1995 sanken die Einkommen im Schnitt um mehr als 60%. Mittlerweile verfügen die 500 reichsten Russen über ein Vermögen, das 40% des BIP entspricht.
"Fluch der Ressourcen": die Bodenschätze haben die Oligarchen reicht gemacht - das Volk aber darbt, es bleibt arm und krank. Die Vermögen sind so ungleich verteilt, weil die Staaten so schwach sind. Die Bodenschätze sichern den Regimen ihr Auskomme, die Erträge fallen ihnen in den Schoß.
Der Wirtschaftsforscher Hernando de Soto versuchte in Lima eine kleine Schneiderei zu öffnen. Bis er die Lizenz endlich besaß, vergingen 289 Tage, zudem musste er zehn Beamte bestechen. Nicht Kapital fehle der Dritten Welt, sondern Rechtsstaatlichkeit. Die Globalisierung ist für das Elend kaum verantwortlich zu machen. In erster Linie ruinieren sich diese Länder selbst.
Nicht immer jedoch:
Der Norden schottet seine Landwirtschaft weitgehend von Importen aus der Dritten Welt ab, zugleich überschwemmt er die Märkte in Afrika, Asien und Lateinamerika mit billigem Betreid und Fleisch, Gemüse und Obst. Joseph Stigliz: Für jede Kuh bekämen Europas Landwirte zwei Dollar am Tag, gleichzeitig müsste fast die Hälfte der Menschheit täglich von weniger als zwei Dollar leben. "So zynisch es klingt: Es ist besser eine Kuh in Europa zu sein als ein armer Mensch in einem Entwicklungsland".
....

Montag, 18. Juni 2007

Blau wie die Neun

Der Spiegel 22/2007

Der Brite Daniel Tammet spricht zehn Sprachen und rechnet mühelos mit 30-stelligen Zahlen.

Synästhesie: (Wikipedia)
Überwiegend versteht man darunter die Kopplung zweier physikalisch getrennter Domänen der Wahrnehmung, etwa Farbe und Temperatur ("warmes Grün"), im engeren Sinne die Wahrnehmung von Sinnesreizen eines Sinnesorgans als die eines anderen.

Synästhetiker haben also häufig zu einem Sinnesreiz zwei oder mehrere Wahrnehmungen. Sie können beispielsweise Geräusche nicht nur hören, sondern auch Formen und Farben dazu sehen. Das Geräusch bekommt zusätzlich zu den üblichen Eigenschaften diese weiteren Eigenschaften. Das Bild, das dabei entsteht, überlagert sich jedoch nur bei den wenigsten Synästhetikern mit dem Wahrgenommenen, sondern wird vor einem "inneren Auge" sichtbar.



In milder Form kennt diesen Übersprung in der Wahrnehmung jeder. Auch prosaische Menschen sprechen von schreienden Farbtönen, einem scharfen Käse, einem süßen Blick. Der US-Neurologe Vilayanur Ramachandran vermutet sogar, dass es das Talent zur Synästhesie war, das dem frühen Menschen zum höheren Denken verhalf: Indem er sich abgewöhnte, quasi Äpfel mit Birnen zu vergleichen, löste er sich vom unmittelbaren Sinneseindruck und lernte das Verallgemeinern, die Abstraktion.

Vor drei Jahren stellte Tamment das Europarekord im aus dem Gedächtnis Rezitieren der Kreiszahl Pi. Nach fünf Stunden und neun Minuten beendete er seine Rezitation: 22514 Ziffern hatte er aufgesagt.

Donnerstag, 14. Juni 2007

Der Kreuzzug der Gottlosen

aus: Der Spiegel 22/2007
Eine neue Generation von Skeptikern und Wissenschaftlern hat sich aufgemacht, die Welt vom Glauben zu befreien. Ihre Waffen sind Darwin, das Internet und das wachsende Unbehagen über die Einmischungen von Bischöfen und Islampredigern, Polit-Frömmlern und Kirchen.
Es ist das Coming-out all jener, die lange glaubten, die Gottesfrage würde sich von selbst erledigen. Und die jetzt merken, wie ihre Gesellschaften den Glauben an die Gottlosigkeit zu verlieren beginnen. Und wie in der Politik und auf Cocktailpartys immer öfter über Religion und Glauben gesprochen wird.
Es ist das Unbehagen, wenn der Vatikan seine Stimme gegen Mohammed-Karikaturen erhebt. Wenn Bischöfe Lebens- und Liebesgemeinschaften als widernatürlich abkanzeln oder wenn Irans Staatspräsident "das Licht des verborgenen Imams" gespürt haben will, als er vor der Uno-Vollversammlung über seine Atompläne sprach.
Vielleicht ist auch die nackte Panik, dass Gott im Kampf mit der Aufklärung Sieger bleiben könnte.
"Der alttestamentarische Gott ist einer der unangenehmsten Charaktere der Literaturgeschichte. Eifersüchtig und ungerecht, ein Rassist, Schwulenhasser und Kinderkiller, ein übler Korinthenkacker, Megalomane und ethnischer Säuberer" (Richard Dawkins)
"Wenn es um Zeus, Apollo, Ra, Wotan, das Goldene Kalb oder das Fliegende Spaghettimonster geht, sind Sie doch auch ein Atheist. Ich setze eben nur einen weiteren Gott auf die Liste." (R. Dawkins) Es ist anzunehmen, dass Oxfords Kirchgänger sich bekreuzigen, wenn ihnen Richard Dawkins auf der Straße begegnet.
Die Anhänger des neuen Atheismus nennen sich Brights, die Aufgeweckten: "Ein Bright ist eine Person mit einem naturalistischem Weltbild, frei von Übernatürlichem. Wir Brights glauben nicht an Geister, Elfen oder den Osterhasen - oder an Gott."
ER ist nicht. ER ist unlogisch. ER ist überflüssig. Und schlimmer noch: ER ist gefährlich. Religionen sind nicht nur falsch, sie sind auch schlecht.
Das Neue am Neuen Atheismus ist sein missionarischer Habitus. Vorbei die Zeit der bequemen Toleranz gegenüber dem Glauben. Jeder, dem am Projekt Aufklärung gelegen ist, muss Stellung beziehen.
"Stellen wir uns eine Welt vor ohne Religion. Es gäbe keine Selbstmordbomber, keinen 11. September, keine Kreuzzüge und Hexenverfolgungen, keinen Israel-Palästina-Konflikt, keine Massaker in Bosnien, keine Verfolgung von Juden als ´Christusmörder´, keine Nordirland-
´Unruhen´, keine hochgefönten Fernsehprediger in schimmernden Anzügen, die leichtgläibogen Leuten ihr Geld aus der Tasche ziehen."
Eine Welt ohne Taliban, ohne Zwangsbeschneidungen und Ehrenmorde in Berlin-Kreuzberg? Und ohne einen US-Präsidenten, der mit einem vor knapp 2000 Jahren zu Tode gefolterten Landprediger redet, bevor er seine Bomber starten lässt? Es wäre das Paradies auf Erden.
...
Es ist, als würde nun auch die Aufklärung ihre Fundamentalisten hervorbringen. Die Hohepriester dieses Kreuzzugs der Gottlosen sind Naturwissenschaftler, Autoren, Philosophen.
Christopher Hitchens. Früher war er Salontrotzkist in England. Dir Botschaft seines jüngsten Buchs: "Gott ist nicht groß."
Im Gegenteil: "Religion vergiftet alles. Sie ist der Feind er Wissenschaft, beruht "großteils auf Lügen und Furcht" und leistet Komplizendienste bei Völkermodern, Sklaverei, Rassismus und sexueller Unterdrückung. In den USA ist das Sprengstoff. Zumal Hitchens kein "fucking liberal" ist. Er verteidigt den Irak-Krieg noch heute.

Piergiorgio Odifreddi:
Benedicat vos omnipotens Logos: Pater Pythagoras, Filius Archimedes, et Spiritus Sanctus Newtonius
Sam Harris:
Ohne Gottesglauben auch keine Akademiker, die sich – nach Jungfrauen brüllend – in Hochhäuser stürzten.
„Nach einem guten Jahrhundert wissenschaftlicher Erkenntnis über das Alter des Lebens und das noch höhere Alter der Erde glaubt mehr als die Hälfte unserer Nachbarn, dass der gesamte Kosmos vor 6000 Jahren geschaffen worden sei - also 1000 nachdem die Sumerer den Klebstoff erfunden haben.“
Sam Harris: Das Ende des Glaubens
„ : Brief an eine christliche Nation

Die 10 Gebote der Neuen Atheisten:
1. Du sollst nicht glauben
Die Menge der täglichen Gebete steht zur Menge des täglichen Unrechts in direktem Verhältnis nicht umgekehrten.
Gewiss die Existenz Gottes ist nicht zu widerlegen. Ebenso wenig wie Einhörner, Werwölfe, oder Teekannen in der Umlaufbahn des Mars. Atheismus ist keine Therapie gegen den Glauben, sondern nur die wiedergefundene geistige Gesundheit.
2. Du sollst dir kein Selbstbildnis machen und es Gott nenne.
Gott ist ein Produkt der Menschen und nicht umgekehrt.
3. Du sollst keine Götter neben dir dulden.
Die friedliche Koexistenz mit den Gläubigen ist vorbei. Seit der Fatwa gegen Salman Rushdie, seit der Erklärung des neuen Dschihad gegen die Moderne ist Schluss mit religiösem Multikulti.
4. Du sollst keinen Schöpfer haben
Die Theorie Darwins liefert eine schlüssige Erklärung, weshalb aus Chaos Ordnung wird.
5. Du sollst deine Kinder ehren und sie deshalb mit Gott in Frieden lassen.
Wer das Pech hat, in eine strenggläubige Familie hineingeboren zu werden, hat gute Chancen, sein Leben lang an die Süße des Märtyrertodes zu glauben, keine Knöpfe benutzen zu dürfen wie bei den Amish in Pennsylvania oder psychisch an den Beichtstuhl gekettet zu sein.
6. Sei gut auch ohne Gott.
Es gibt keine allgemeingültigen Normen jenseits von Kultur und Zeiten. Der Mensch ist Schöpfer und Herr der Norm.
7. Du sollst keine anderen Götter neben der Wissenschaft haben.
Der angebliche Glaube prominenter Wissenschaftler ist Selbsttäuschung und Begriffsverwirrung. Man betet nicht zum Gesetz der Schwerkraft.
8. Liebe deinen Nächsten ohne schlechtes Gewissen.
Hätten junge Muslime in Ägypten, Pakistan, Marokko ein entspannteres Verhältnis zu Sex, Drugs and Rock´n´Roll, brauchte die Welt weniger Antiterrorgesetze.
9. Du sollst den Sabbat nicht ehren.
Es darf keine Sonderrechte für Religionen geben. Religiöse Gefühle sind nicht schützenwerter als ästhetische, politische oder moralische.
10. Du sollst nicht knien als Schöpfer
Auch ohne Glauben lässt sich Demut empfinden gegenüber dem Schönen, Wahren, Guten. Mozarts „Zauberflöte“ brauchte den Glauben so wenig, wie ihn Schiller, T.S. Eliot oder I. M. Pei brauchten.

Mittwoch, 13. Juni 2007

The Eve Gen and the Adam Gen

Eve Gen = mtDNA: http://www.bradshawfoundation.com/journey/eve.html
Adam Gen = Y Chromosome: http://www.bradshawfoundation.com/journey/adam.html

Adenosintriphosphat (ATP)

http://de.wikipedia.org/wiki/Adenosintriphosphat

Aufbau der menschlichen mitochondrialen DNA (mtDNA)

http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Mitochondrial_DNA_de.png
Mitochondrien sind semiautonom: ihr Genom kodiert selbst nur einen kleinen Teil der vom Mitochondrium benötigten Proteine. Beim Menschen kontrollieren 37 mitochondriale Gene die Synthese von 13 der ca. 80 Protein-Untereinheiten der Atmungskette, die restlichen 800-1000 verschiedenen mitochondrialen Proteine werden im Kerngenom kodiert.

Samstag, 9. Juni 2007

Out of Africa

Journay of Mankind: the peopling of the world
http://www.bradshawfoundation.com/journey/
"Out of Africa" bedeutet "vs. Multiregionalismus", will heißen: die heutig lebendige Weltbevölkerung entstammt einer einzigen Verbreitungsbewegung, die ihren Ursprung in Afrika nahm.