Montag, 10. Dezember 2007

Zehn Fragen für die Zukunft

Die neuen alten Grundfragen der Geisteswissenschaften
Jochen Hörisch
1. Gibt es universale Werte?
oder sind die Menschenrechte (die Idee der universal gültigen Menschenrechte) ein kulturrelatives Produkt?
2. Stiftet Religion Frieden?
oder: wenn und weil es um letzte Wahrheit geht, neigen Köpfe in dem Maße zur Militanz, zur Mission, in dem sie fromm sind?
3. Soll man das Gute um jeden Preis wollen?

Mephisto stellt sich Faust als jemand vor, der stets das Böse will und stets das Gute schafft. Die Umkehrung: das Gute wollen und damit das Böse freisetzen (Robespierre, Trotky)
4. Warum sprechen wir miteinander?
Ist Kommunikation konsensorient (weil wir uns verstehen) oder dissensorientiert (weil und insofern wir Differenzen haben)?
Diskursieren; - dis-currieren; auseinanderstreben
5. Wer bin ich?
Ein mengentheoretisches Dilemma (B. Russels Barbier von Sevilla)
6. Warum gibt es Tabus?
Kulturelle Atraktivität des Inzests durch die Sprengung von logischen Gesetzen?
Tertium non datur: Wenn Ödipus mit Iokaste eine Tochter zeugten, diese Tochter und Schwester des Ödipus.
7. Gibt es einen freien Willen?
Am besten bei den Quantenmechanikern nachfragen (Schrödinger)
8. Wind Interpretationen beweisbar?
9. Bildet Sprache Wirklichkeit ab?

Es gibt keine Feen und keine Drachen, auch kein gegenwärtiger König von Frankreich, aber auch kein reales "kaum" oder "nicht". Aber auch mehr Sein als Sprache.
Das Verhältnis von Sprache und Sein ist systematisch instabil.
Ist es sinnvoll, nach dem Sinn des Sinns und der Bedeutung von Bedeutung zu fragen?
10. Warum und worüber lächelt die Mona Lisa?
DS 47/2007

Freitag, 7. Dezember 2007

Raus aus dem Tunnel

DS 46/2007



Der Historiker Sebastian Conrad will die nationalstaatliche Perspektive überwinden.



Die Globalisierung, die wir heute erleben, ist nämlich, anders als in der propagandistischen Darstellung, keine neue Erfahrung. Schon das späte 19. Jahrhundert war eine Hochphase der weltweiten Interaktion und der Austauschprozesse, bevor nach den zwei Weltkriegen eine Epoche der Abschottung einsetzte.

Nationalgeschichtlicher Tunnelblick: eine auf Europa und die USA fixierte (nach Voltaire musste man gar sagen "frisierte") Perspektive.

Die Grundbedingungen für die Globalisierung waren am Ende des 19 Jahrhunderts bereits vereint: Transport, Kommunikation und Mobilität.

Das 19. Jh verstand sich selbst als "Jahrhundert der Arbeit"; der sich entwickelnde Wohlfahrtsstaat war auf die lohnabhängige Arbeit gegründet, ohne die der Ausbau der Sozialgesetzgebung nicht möglich gewesen wäre. Arbeit wurde eine moralische Kategorie, wer als "arbeitsscheu" galt, schloss sich aus der Gemeinschaft aus, eine Exklusion, die auch noch in Hartz VI nachklingt.



Fortschritt

Modernität wurde früher nur linear verstanden, jeweils ein Schritt nach dem anderen auf der Zeitachse; rückständige Gesellschaften lagen einfach nur eine Zeitkapsel zurück. Diese Weltanschauung stützte sich auf ein westliches Wertesystem, das sich selbst als universalistisch betrachtete. Heute koexistieren vielfältige Modernitäten, die keinen kulturellen Hegemonieanspruch mehr zulassen. Noch der Kommunismus war eine Utopie der Gleichförmigkeit. Heute hat der Respekt vor kultureller Differenz eine historische Priorität (bullshit!).

Statt der Zeit entdeckt die moderne Geschichtsforschung die Räumlichkeit wieder.