Sonntag, 11. Oktober 2009

Alles hat ein Ende (nur die Wurst hat zwei?)

Alles hat ihr Anfang und ihr Ende (ob dies auch für das Nichts gelten mag?), das Leben, eine Gerade, die sich am Ende einer Krümmung wiederfindet, die Musik. Manchmal ist das Ende, zum Beispiel der Musik, der Grundsteinlegung eines neuen Anfangens.

Donnerstag, 30. Juli 2009

Human nature: Justice vs. Power

Chomsky meets Foucault

Körper vs. Geist


W. Bartuschat: Baruch de Spinoza, S. 34
Descartes hatte in seinen 'Meditationen de prima philosophia' (1641) den Ausgang vom menschlichen Geist genommen und in ihm ein Prinzip zweifelsfreier Gewißheit gefunden, das in einem Akt selbstbezüglichen Denkens gründet. In ihm wird das Subjekt der Selbstzgewißheit seines Denkens unbezüglich auf die Gegenstände, die es zu erkennen gilt, inne und begreift sich selbst zugleich als ein denkendes Wesen, das von aller Körperlichkeit getrennt ist. Aus deisem Fürsichbestehen des Geistigen hatte Descartes auf dessen Substanzialität geschlossen, der ein anderes Seiendes, ebenfalls vom Charakter der Substanzialität, gegenübersteht, das Feld der Ausdehnung und damit der Körperlichkeit. Für die Verhältnisbestimmung dieser beiden Substanzen zueinander (...) musste Descartes auf eine vom denkenden Subjekt verschiedene Instanz zurückgreifen, die verstanden als Gott, gleichsam als dritte und übergeordnete Substanz einen Bezug der getrennten Glieder von Denken und Ausdehnung erst herstellt.
(...)
Im Ausgang von einem Endlichen bleibt das Unbedingte von der Bedingtheit des menschlichen Subjekts her bestimmt, das seinen defekten Ausganspunkt nie los werden kann und folglich in das Unbedingte hineinträgt, das dann vom Bedingten her gedacht wird und damit nicht als Unbedingtes. (...) Der Cartesianismus ist für Spinoza die Variante einer anthropomorphen Theorie Gottes
W. Bartuschat, Baruch de Spinoza, S. 34

Samstag, 4. Juli 2009

Verstehen (Geologie, Marxismus, Psychoanalyse) und Strukturalismus

Auf einer anderen Ebene der Wirlichkeit schien mir der Marxismus auf ähnliche Weise vorzugehen wie die Geologie und die Psycohoanalyse [...]. Alle drei zeigen, dassVerstehen darin besteht, eine Art der Wirklichkeit auf eine andere zurückzuführen; dass die eigentliche Wirklichkeit niemals die offensichtlichste ist."
Levy-Strauss, Tristes Tropiques

Montag, 22. Juni 2009

Wahl der Verfassungsrichter

Derzeit: durch einen Ausschuss, dem nur zwölf Mitglieder des Bundestages angehören.

Vorschlag Winfried Hassemers: die Kandidaten durch einen kleinen Kreis vorschlagen, sie aber dann von allen Mitgliedern des Bundestages wählen zu lassen.

Heike Krieger, Richterin am Berliner Verfassungsgerichtshof: bisherige Praxis ist „verfassungswidrig“, weil sie „das Recht des Abgeordneten auf gleiche Teilhabe am Prozess der parlamentarischen Willensbildung“ verletze.

LINKS:

http://www.bundestag.de/wissen/analysen/2009/richter_bundesverfassungsgericht.pdf

http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/0,1518,630260,00.html

Mittwoch, 17. Juni 2009

Neugier und Lobotomie

"Nietzsche hatte begonnen, jeden Willen zum Wissen durch den Verdacht des Willens zur Macht zu unterhöhlen", schreibt Sloterdijk in der Kritik der zynischen Vernunft.
Eine Fehlspur die da hinterlegt wird - und das ist der Preis der Polemik, dass sie zu viele Fehlspuren hinterlässt. Manchmal jedoch offenbart erst recht das Unmaß an Fehlspuren die Geradlinigkeit des richtigen Weges (oder anders: ein richtiger Weg kann es nur dort geben, wo es von vielen falschen nur so wimmelt).
Die Fehlspur Sloterdijks ist die Fehlspur die Foucault - sicherlich beabsichtigt - hinterlegt hat: hinter jedem Wissen stehe ein grosses Verbrechen, welches sich verkleiden möchte, oder politisch: Marx führt unweigerlich zu Stalin und Mao Tse Tung und Freud zwangsweise zur Lobotomie. Es ist die mögliche Deutung Goyas "sueno de la razon" nicht als Schlaf (als Abwesenheit) der Vernunft zu deuten, sondern als Traum der Vernunft ("el sueno de la razon produce monstruos" lautet der capricho). Nebenbei bemerkt: "Die Phantasie, verlassen von der Vernunft, erzeugt unmögliche Ungeheuer; vereint mit ihr ist sie die Mutter der Künste und Ursprung der Wunder" lautet Goys Kommentar zum Capricho 43.
Bei Nietzsche ist Wille zur Macht Synonym für den ewigen Kreislauf der Dinge, für die absolute Bejahung, jenseits von Gut und Böse.

NOTEN:
Es gibt tatsächlich eine kluge Vermutung, Goyas "sueno" als Schlaf sei ironisch gemeint, in Wahrheit habe Goya gewusst, dass der Traum größere Schäden anrichte als der Schlaf. Die Figur Napoleons und die von Goya porträtierten Greuel der bonapartistischen Kreuzzüge lassen diese Interpretation zu. Eine Vorstudie zum Capricho 43 trägt den Titel "El idioma universal", ein Projekt Condorcets (der Traum der Aufklärung: eine Sprache, die alles präzise sagt) und eine Satire Jonathan Swifts (bei einer Übertragung eins zu eins, müssten wir mit einem gefüllten Sack ins Kaffeehaus um eins zu eins auf ein Tee hinweisen zu können - wollten wir ihn verkaufen? oder gar trinken? oder lediglich nach dem Preis anfragen?).
Diese Überlegungen führen auf die erst recht wichtigere Spur, auf Blumenbergs Metaphorologie: es gibt Gedanken (Thesen, Theorien, Schulen) die sich verselbständigen und Allgemeingut eines ganzen Kulturkreises werden (es ist ein gesamtsoziales Werk, der Tod des Autors).
... Auch Nietzsches Gedanke des Willens zum Wissen als Neugier zum Wissen, welches zum Willen zur Macht als Wunsch zur Macht führt, ist eine metaphorologische Deutung.

QUOTES
„Alles geht, alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins.“
F. Nietzsche: Also sprach Zarathustra

Sonntag, 7. Juni 2009

Universelle Wahrscheinlichkeitsschranken I

Sprache ist schwammig, im wörtlichsten Sinne.
Wir gehen mit ihr über eine beliebige Menge und nehmen davon von ganz wenig, bis zum letzten Tropfen auf. Das Aufgsaugte erhält dann ein phonetisches Ensemble und voila: eine Menge wurde geboren.
Denn Sprache muss alles nur erdenklich Sagbare auch sagen können, einschließlich der Feststellung, dass wir nicht alles sagen werden können, und einschließlich der Unmöglichkeit alles erdenkliche denken zu können - geschweige denn zu sagen.

LINKS:

Dienstag, 26. Mai 2009

Flexibler Mitarbeiter gesucht

Flexibler Mitarbeiter gesucht…

Wer mag wohl dieser flexible Mitarbeiter sein? Was muss er bringen? Was haben wir uns unter einem un-flexiblen Mitarbeiter vorzustellen, und warum wird er ausdrücklich aus der Suchanfrage ausgeschlossen?

Definitionsmäßig hat der Anstellende einen Anspruch auf Erfüllung seiner Vorgaben, soweit diese gesetzlich zulässig sind. Dazu bedarf es keines flexiblen Mitarbeiters, das bringt das Anstellungsverhältnis von sich aus.

Flexibler (biegsamer) Mitarbeiter ist also der Mitarbeiter der stets geduckt läuft, und zwar in einer Haltung, die das Gesetz nicht mehr für rechtens erachtet.

Der flexible Mitarbeiter, der biegsame, ist der Mitarbeiter, der auch jenseits des gesetzlich Zulässigen mitmacht. Er schert sich um die Arbeitsbedingungen und um die (gesetzlich festgelegte) Bezahlung. Der flexible Mitarbeiter, bringt sich um sein eigenes Recht für Geld (weniger Geld und weniger Rechte als ihm das Gesetz gewährt). Höchstwahrscheinlich wird er meinen, dass es dies tun muss (um seine Kinder durchzubringen, den Strom zu bezahlen, usw.), und sicherlich wird er recht haben.

 

Der unflexible Mitarbeiter bleibt also auf der Straße, und nicht nur er. Auf der Straße bleiben bedeutet ausgeschlossen zu werden, oder sich zu den Ausgeschlossenen hinzuzugesellen, kurzum: nicht dazugehören dürfen.

Solange „flexible Mitarbeiter“ gesucht werden, ist es noch gut bestellt um die Gesellschaft. Flexibilität ist dann der Schlüssel zur bittersten Notbeseitigung, der noch gangbar ist. Jenseits dessen beginnt das Unzumutbare, der Gang zur Zerstörung (des Selbst oder des Fremden).

Ganz schlimm wird es, wenn die Flexibilität nur noch zum Schein, als stabilisierendes Element, figuriert (denn „flexibel“ könnte auch bedeuten, die eigene Tochter auf den Strich zu schicken, oder seinen Neffen eine Anstellung als Drogenkurier zu vermitteln). Dann staut es in der Gesellschaft, und das Ergebnis sehen wir regelmäßig in den Unruhen in den Pariser Vororten, in den geplünderten Kaufhäusern Nord- und Südamerikas, in den Amok-Läufern in nordeuropäischen und nordamerikanischen Schulen.

Flexibilität kann auch über „Selbstausbeutung“ sich entladen – natürlich gibt es keine „Selbst-Ausbeutung“, das Selbst kann sich nie ausbeuten, es verausgabt sich lediglich, Selbstausbeutung ist das Wort, welches die nationalen Akademien sich ausgesucht haben, um eine Diskrepanz zu benennen zwischen dem, was die Gesellschaft als „gegeben“ hinstellen möchte – die Mindestrechte, die jedem Bürger angeblich zustehen – und dem, was „faktisch“ vorhanden ist. Nicht ohne Grund sind es die „Ausgeschlossenen“ die ihre Pariser Basaren rund um die Uhr geöffnet halten, um jeden Cent mitzunehmen.

Flexibilität hilft nicht, wenn man weit weg vom Schuss ist, und irgendwo an der Küste Nordafrikas auf einen Motorboot nach Südeuropa schielt. Der geographische Ausschluss (stirb doch Hause, du Arsch!) lässt sich nur über die Generationen überbrücken (einfacher allerdings vor Schengen).

das Zeichen

Semiotics, das Ding vom Zeichen. Das Zeichen: etwas, was für etwas anderes steht (weil dieses sich von selbst nicht sagen kann).

Montag, 25. Mai 2009

Was soll es denn bedeuten? (Ludwig Wittgenstein)

"Das was 1cm3 Wasser wiegt, hat man '1 Gramm' genannt. - Ja, was wiegt er denn?"
Ludwig Wittgenstein, Philosophische Grammatik

Dienstag, 12. Mai 2009

Politik und Unwahrheit - Ist doch nur ein Spiel, Kinder!

Politik und Unwahrheit

Die Wahrheit ist uns abhanden gekommen, besser: es ist inzwischen allgemein bekannt, dass es keine Wahrheit gibt (Gottseidank wird von einigen klugen Köpfen hinzugefügt – denn da wo die Wahrheit noch in Worte gefasst wurde, wurde sie alleine vom Herrscher, bzw. seinem Beauftragten, einer Minderheit also, stets ausgesprochen und nie diskursiv ermittelt). Um dies herauszufinden, benötigen wir weder Nietzsche, der dies  Wahr manisch verkündet hat, noch Wittgensteins Theorie der Sprachspiele – („das Sprechen einer Sprache ist Teil einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“, nicht Wahrheit wird mitegeteilt, sondern Sinn hergestellt), noch überhaupt der gesamten geschichtlichen Weisheit.

Aber zwischen der Wahrheit und der glatten Lüge (eine Lüge, die spurlos durchgeht, keine Risse hinterlässt und eine Lüge, die zugleich sich durch ein Ausrutschen des Belogenen auszeichnet) liegen unzählige Welten des Möglichen: man muss also, nicht immer lügen, wenn es heißt die Wahrheit nicht zu sagen. Wenn systematisch die Lüge die Oberhand gewinnt, heißt es Vorsicht nehmen: wir sind dann im Reich der Illusionen – und wir leben eine Illusion aus (was an sich nichts verwerflich wäre, als ob es an sich etwas „verwerfliches“ gäbe). Traurig dabei könnte es nur sein, dass wir das eine Leben, was wir als Illusion ausleben, vielleicht auch anderes gestalten könnten – womöglich mit einem viel größeren Ausstoß an körpereigenen Endorphinen.

Die Wahrheit ist für die Politik stets als Sprosse auf der Leiter nach oben, nicht cursus honorum sondern illudo ergo domino ,stets etwas, was gemacht wird, und viel weniger etwas, das gesagt wird („tue, was ich sage, und sage nicht was ich tue“). Anderes kann Politik, das Leben in unfreiwilliger Gemeinschaft, gar nicht gedacht werden. Die Wahrheit wäre doch stets die, und hier wäre ein Rückgriff auf Nietzsche wohl angebracht, dass Leben in der Polis stets bedeutet „leben trotz“, des „überleben vor“ und des „warum eigentlich nicht?“: Eine winzige bessere Ausbildung für meine Kinder, ein unvermeintlich sozial bedeutungsloses Saphir an die Liebste, eine etwas bessere Mahlzeit.

Man müsste, wenn man denn könnte, die Politiker nicht an der Wahrheit messen, sondern in einer Skala, die am obersten Rande „Unverschämtheit“ und am untersten „mit der Gnade, die mir das menschliche Dasein per se vermittelt“ beschriftet werden könnte.

Ob es ein Unterschied denn gäbe zwischen der cäsarischen „politischen Unwahrheit“ und unserer, der „spätbürgerlichen“, modernen?

Zunächst der, dass die der Kaiser selbst, die Wahrheit schafft, indem er sie „sagt“. Die Dichotomie ist nicht Wahrheit und Lüge, sondern Wahrheit und Unterwerfung. Auch der kaiserliche Sklave, der Hausphilosoph, die Ehefrau und die Hetäre oder Konkubine, andere Ethnien und Bewohner anderer Landschaften werden ihre eigenen jeweiligen „Wahrheiten“ gehabt haben, aber wenn kaiserliche und unkaiserliche Wahrheit aneinandergeraten sind, wurden deren mehr an „Wahrheit“ nicht ermittelt – dies war eine Erfindung der Inquisition – sondern eine setzte sich durch, ausnahmslos mit Gewalt (möge sie auch unterwürfig dahergekommen sein, wie die christliche Wahrheit).

Der Kaiser selber währte solange, bis die „Masse“ darin die sinnvollste und effektivste Verkörperung der kollektiven Wünsche erblickte. Ab dem Augenblick, wo der Kaiser das Bild des „mehr“ nicht weiter bedienen könnte (mehr Land, mehr Frauen, mehr Getreide, mehr Wein, mehr Spiele und mehr Brot, mehr Sicherheit, mehr kollektiver Aufstieg) war sein Untergang besiegelt. Dies übrigens ist die Parallele die Hitler, Mussolini und sämtliche Diktatoren des 20 Jahrhunderts wohl erahnt haben: das Tausendjährige Reich, die Kolonialreiche, die „Fascien“ (die Gebündelten). Sämtliche Imperatoren, imperieren solange bis die Masse gewähren lässt, solange bis sie darin ihr sinnvollstes Fortkommen erblickt.

 Das ist der zweite große Unterschied: wenn die imperatorische Wahrheit nur noch als Aberglaube wahrgenommen werden konnte, musste der Imperator selber dran glauben – und hierin gleichen sich die römischen Kaiser ebenso sehr, wie sämtliche faschistische Harlekins des 20. Jahrhunderts und sämtliche nicht-faschistische Diktatoren. Die Verkörperung der Massenhoffnung wurde dann vernichtet, und zwar meistens körperlich. Der moderne, der spätbürgerliche Politiker muss nicht mehr physisch dran glauben. Auch er „erfindet“ Wahrheit wie geschmiert, aber er hat keine öffentliche Scham mehr, er legt den Dolch nicht mehr an sich selber an, greift nicht mehr zum Schierlingsbecher. Er dankt ab, zieht von dannen, kommt zurück in die beschützende „Masse“.

Wenn Imperatoren und Politiker Objekte der Öffentlichkeit (das modernere Wort für „Masse“) sind, dann muss an der Öffentlichkeit selbst etwas geschehen worden sein, dass diese Wende einleitet.

Wir könnten den Wendepunkt an der Inquisition ansetzen (es gibt eine Wahrheit, und diese Wahrheit lässt sich herausholen, wenn nötig auf dem Scheiterhaufen und auf der Folterkammer – dieses Bild des Teufel Bezähmung in der Folterkammer hat etwas Pathetisches und Rührendes). Und die Verankerung lässt sich gut an der ersten Menschenrechtserklärung festmachen: wenn alle Menschen gleich sind, werden meine Nachkommen mit sehr erhöhter Wahrscheinlichkeit selbst zum Götzenbild der kollektiven Träume – verständlich, dass ich meiner biologischen Nachkommenschaft nicht das Schicksal eines Nero, eines Julius Cäsars wünschen – es ist doch alles ein Spiel, Kinder! 

Sonntag, 10. Mai 2009

arbeitslos (vermehrt euch und seid glücklich)

Warum wir die Arbeitslosigkeit bitter nötig haben.

Arbeitslosigkeit ist die Peitsche der Ruhe im alltäglichen Betriebsleben. Andere Instrumente zur Förderung und Wahrung der Ruhe sind ein gewisser Wohlstand, u.ä.

Die Arbeitslosigkeit muss sich auf einer Ebene einpendeln, die die Wahrscheinlichkeit selbst von ihr erfasst zu werden mich daran hindert, den Job aufzugeben, um mich nach einem für mich besseren umzusehen, weil die Arbeitsbedingungen mir nicht zusagen, oder die körperliche Aura meiner Mitarbeiter oder die Augenfarbe meines Vorgesetzten.

Die Arbeitslosigkeit darf jedoch nicht so wahrscheinlich sein, dass es für mich sinnvoller ist ganz aus dem Arbeitsprozess auszuscheren (um Kartoffeln und Rosinen, Schuhen und Federhalter für den eigenen Bedarf  herzustellen).

Ist die Arbeitslosigkeit zu wahrscheinlich, die Zahl der ausreichend Unzufriedenen hat einen ausreichenden Anteil an der Gesamtgesellschaft erreicht, dass es anfängt zu knistern. Die Unzufriedenheit gewinnt irgendwann überhand und die Ausgeschlossenen schlagen zu: Hausbesetzungen, Geschäfteplünderungen, Maschinen stürmen.

Ist die Arbeitslosigkeit zu unwahrscheinlich (geht eher in Richtung ausgeschlossen) gibt es für den Beschäftigen keinen Anlass sich einen unfreundlichen oder frechen Ton eines Vorgesetzen unterzuordnen. Wenn ich weiß, dass ich morgen zu nicht wesentlich schlechteren Konditionen woanders anfangen kann, habe ich keine Hemmungen bereits heute zu kündigen.

Ein Mangel an Arbeitswilligen führt, solange der Markt – Angebot und Nachfrage – die Fülle der Zahltüten festlegt, zu unwilligen Arbeitnehmern – sie machen was sie wollen wann sie wollen. Sie werden „unerzogener“ und unproduktiver (dies ist übrigens einer der Gründe, warum in Gesellschaften, die einen Rückzug auf Subsistenzwirtschaft erlauben  - wo jeder für sich selber sorgen kann - die Qualität der Waren und Dienstleistung so sehr zu wünschen übrig lässt). Die besseren Waren kommen stets von „disziplinierten“ Gesellschaftsformationen[1] und es ist diese geschichtliche Verbitterung an „Disziplin“, die dazu führt, dass wir dem „made in Germany“ immer noch ein unheimliches anhaftet. Zu Recht, wenn wir bedenken, dass BMW, Porsche, BASF, Krupp und all die anderen, ihr ganz großes Ding während des 1000-jährigen Reiches gedreht haben. Dass die, die Überlebenden derjenigen die dran glauben müssten, immer noch hart um Entschädigung gerichtlich kämpfen müssen, wirft ein großes Licht auf die Entfernung, die zwischen unserer Zivilgesellschaft und unserer Gesellschaftsformation liegt.

Ein Mangel an Arbeitswilligen führt zu steigenden Löhnen. Das Bild der „Vollbeschäftigung“ ist die Horrorvision des Beschäftigenden: „Koch und Küchenhilfe zur sofortigen Einstellung gesucht“, „wir stellen ein: 10  Maurer, 3 Maler, 20 Unausgebildete“. Die Vollbeschäftigungsszenarien führen unweigerlich zu „netten Arbeitgebern“. Und nette Arbeitgeber sind nicht die funktionalsten Arbeitgeber – entweder man diskutiert oder man arbeitet (beides zusammen heißt Theater). Steigende Löhne sind steigende Preise – solange der Markt das Regulativ ist und nicht ein 5-Jahresplan, wo man viel Geld hat, aber nichts dafür erwerben kann.

Die vollbeschäftigte Gesellschaft ist eine inflationäre Gesellschaft, eine Gesellschaft der Geldentwertung. Und es ist gerade die Garantie des Geldwertes über die Gegenwart hinaus – am liebsten noch: von der Vergangenheit her über alle Zukunft hinaus, „Gib mir Gold!“ – die das Anhäufen von Geldmengen erlaubt. Ich verzichte auf den jetzigen Genuss, wenn ich ihn morgen einlösen kann. Das Produzieren und einlagern von „Überschüssen“ ist in einer inflationären Gesellschaft nicht sonderlich intelligent. Diese Intelligenz ist die Süße des Dandys, wie wir ihn im Stereotyp entwerfen – Hugh Hefner lässt grüßen.

Der Kapitalismus ist ein Verzicht auf Sofortkonsum (allein schon im Interesse der eigenen Gesundheit), besser noch ist das Retten der von mir sofort in Konsum umsetzbaren Geldmittel in die Zukunft. Diese Überschüsse sind mein Gründungskapital und mein Finanzkapital (Kapital, welches ohne Arbeit, Kapital erschafft.

Vielleicht bleibt nur der Schluss übrig, dass eine Gesellschaft mit Vollbeschäftigung eine „unwahrscheinliche“ Gesellschaft ist, eine Gesellschaft, die darwinistisch im Nachteil ist, sie wird sich weniger öfters reproduzieren können. Und, wenn wir das Bild weiter ausmalen, es sind gerade diese Nachteile, die Geschichte erzeugen. Die evolutionär benachteiligten Gesellschaftsformationen geraten dann in Bewegung, sie ziehen innerlich fort – wir nennen es dann „Fortschritt“, korrekter wäre „Fortzug“ – oder sie wandern in andere Landschaften – die Völkerwanderung der Vergangenheit sind ein buntes Beispiel und die modernen Völkerwanderungen einschließlich deren Verhinderungen ein trauriges, weil es „unsere“ Zeit ist, die wir da verpulvern. Wir erleben unsere Gegenwart stets als „traurige Geschichte“, erst die Historie verwandelt sie in Glanz und Glorie, aber dann, ist es nicht mehr „unsere“ Zeit gewesen. Das, was wir „Rom“ nennen oder „das antike Griechenland“ hat– höchstwahrscheinlich - nie stattgefunden.

Ein Überschuss an Arbeitswilligen, ein „Zuviel“ an Arbeitslosen…

 

Wenn Arbeit = X und Arbeitswillige = Y, dann ist Vollbeschäftigung X=Y.

Allerdings besitzt das Glück eine andere Formel, nämlich α (das Glück) = β (das was ich zum Leben benötige) + α (der Wille glücklich zu sein)

Es ist eine unmögliche Formel, denn dort wo a= a+b ist, ist nichts mehr.



[1] Unter Gesellschaftsformation wird gemeint: die physische Gesamtmenge aller Individuen, die ein soziales Ganze bilden – einschließlich sämtlicher Asoziale. Es gehören dazu nicht nur der Arbeitender und der Arbeitsloser, sondern auch der Schmarotzer, der Ganove, der Beschäftigender.

Unter Zivilgesellschaft wird gemeint: der „konkretisierte ideelle westliche Mindestkonsens“ an Lebens- und Wohlstandsgarantien. Letztendlich nichts anderes als was stets als Wertekanon des Westens seit der Virgina Bill of Rights im Jahre…. immer wieder verkündet wird. Die Menschensrechtscharta der Vereinten Nationen, die nationalen Verfassungen der demokratischen Länder, der kategorische Imperativ und die mosaischen Gesetzestafeln (vom Ehebruch einmal abgesehen).

Es gibt Gesellschaftsformationen ohne Zivilgesellschaft, hierzu gehören z.B. Saddams Irak, die erdölfinanzierten Familienstaaten – Staaten, die wie große Familien geführt werden – wie Vereinigte Arabischen Emiraten, Lybien. Und es gibt Zivilgesellschaften ohne Gesellschaftsformationen – wie die UNO selbst, die Fabian Society, usw.

Mittwoch, 11. März 2009

Der Ekel und ein sanftes Lächeln...

Physisch findet Ekel dann statt, wenn die Magenwände gereizt werden. Nun gibt es aber auch Regungen, ein Bestreben, ebenfalls aus dem Bereich des seelischen Besitztums etwas auszustoßen. (...) Es ist eine Gebärde der Wegwendung. Die Grimassen bedeuten eine Verurteilung der Umgebung, eine Erledigung der Situation im Sinne einer Verwerfung
Alfred Adler, Menschenkenntnis
Als ich, Heranwachsender, den Ekel von Sartre (meine erste intellektuelle Begegnung mit dem Ekel) las, konnte ich mir noch mindestens das Reizen der Magenwände vorstellen; heute (auch bei der tatsächlichen Begegnung mit den menschlichen Ausdrucksformen, die jenen Affekt verursachen), bleibt nur ein Lächeln, als Andenken an jene Zeit und an jenes Reizen.

Montag, 2. Februar 2009

SARTRE: L´amour comme attitude envers autrui

L´amour comme attitude envers autrui

J. Sartre, L´être et le néant, S. 413ff.

Nous éprouvons notre insaisissable être-pour-autrui (l´autrui comme regard) sous la forme d´une possession. Je suis possède par autrui.

L´autrui détient un secret : le secret de ce que je suis.

Si donc je projette de réaliser l´unité avec autrui, (…) il s´agit en effet, pour moi de me faire être en acquérant la possibilité de prendre sur moi le point de vue de l´autre.

L´amour c´est une entreprise, c´est à dire un ensemble organique de projets vers mes possibilités propres.

L´amour veut captiver la ‘conscience’. (…) C´est de la liberté de l´autre en tant que telle que nous voulons nous emparer. (…) Le tyran se moque de l´amour : il se contente de la peur.

Celui qui veut être aimé ne désire pas l´asservissement de l´être aimé. (…) Il ne veut pas posséder un automatisme.

Et il arrive qu´un asservissement total de l´être aimé tue l´amour de l´amant.

L´amant veut posséder une liberté comme liberté.

Nous désirons chez autrui une liberté qui joue le déterminisme passionnel et qui se prend à son jeu.

Vouloir être aimé, c´est infecter l´Autre de sa propre facticité.

Vouloir être aimé, c´est vouloir se placer (…) comme la condition de toute valorisation et comme le fondement objectif de toutes les valeurs.

Je ne dois plus être vu sur fond de monde comme un ‘ceci’ parmi d´autres ceci, (…) je dois être (…) la condition même du surgissement d´un monde. Je dois être celui dont la fonction est de faire exister les arbres et l´eau.

Au lieu d´être un ceci se détachant sur fond de monde, je suis l´objet-fond sur quoi le monde se détache.

L´aimé est regard. (…) L´amant doit donc séduire l´aimé ; et son amour ne se distingue pas de cette entreprise de séduction.

Séduire, c´est assumer entièrement et comme un risque à courir mon objectivité pour autrui, c´est me mettre sous son regard et me faire regarder par lui, c´est courir le danger d´être-vu.

C´est sur ce terrain que je veux engager la lutte en me faisant objet fascinant.

Mittwoch, 28. Januar 2009

Changing an equilibrium of corruption

Want to Make a Clean Break?

Ignoring Geithner's lapse may seem a small price to pay. But cutting corners is dangerous.

In the days leading up to Barack Obama's inauguration, it really has felt like the dawn of a new era in the United States. While the latest scandals—both political (Rod Blagojevich) and financial (Bernard Madoff)—continue to reverberate, the country seems eager to break with a recent past characterized by corruption and self-interest. Politics, of course, involves compromise—and by sticking with Timothy Geithner as treasury secretary, Obama has signaled his willingness to overlook an earlier lapse in judgment by his nominee in order to get the most competent person for the job. Ignoring $34,000 in missing tax payments may seem a small price to pay for rescuing the financial system. But the country needs a cultural overhaul, and to bring it about Obama must set the right tone and example from the start.

That's because corruption tends to be an all-or-nothing affair. If you look at corruption levels around the world, you'll notice that relatively few countries are halfway corrupt. One is generally part of a bribe-paying culture or one isn't. To understand why, imagine the difficulty of paying bribes in an otherwise law-abiding nation. Odds are it won't be long before you try to shake down the wrong person and find yourself in prison or a social outcast. Where corruption is the norm, the logic flips—you may well get in trouble if you refuse to play along. Moreover, a culture of corruption can throw one's own moral compass off course. "Everyone is doing it" has served as an effective rationalization for everything from accounting sleight-of-hand to options backdating. When everyone else is cheating the system, it's all too easy to go along.

This kind of social "tipping" is called an equilibrium phenomenon: communities that are otherwise similar can end up with very different outcomes (either corrupt or uncorrupt) just by tipping in one direction or the other. Once the tipping starts, it feeds off its own momentum.

Changing an equilibrium of corruption—or of anything else—is extremely difficult because it's so costly to be the odd person out. As a result, everyone has to make the switch all at once. Imagine what would happen if a country tried to switch from driving on the right to driving on the left through gradual change. Mismatched expectations about the rules of the road would quickly lead to chaos, fender benders and even a reversion to the old "equilibrium" by the few early left-siders.

What all this means is that change requires a clean and visible break with the past, not incremental efforts. Most people, even those living under the most corrupt of regimes, would like to switch to the corruption-free equilibrium. But given their circumstances, they go along with whatever those around them are doing. Convince them that society is going to tip against corruption and they'll happily go along with that as well.

The change may be difficult, but not impossible. Perhaps the new administration can take inspiration from the transformation of Bogotá in the early 1990s. At the time, the city was the murder capital of the world and still reeling from the legacy of Pablo Escobar and the drug wars of the previous decade. In 1994, Bogotános elected Antanas Mockus, a former philosophy professor, to bring order to this landscape of urban chaos.

Once in office, Mayor Mockus quickly sprang into action, stationing mimes at the city's busiest intersections. Yes, mimes. His vision for taming the law-breaking drug lords of Colombia included the hiring of a group of theater students wearing white face paint and tights to help to enforce traffic rules. This quickly became participatory street theater, as the mimes gave out "thumbs down" cards to civilians that they could flash at rule breakers. In a matter of months, the fraction of pedestrians obeying traffic signals reportedly jumped from 26 percent to 75 percent. Indeed, the program proved so popular and effective that Mockus hired 400 more mimes to extend the long arm of mimicry to the rest of the city. The mayor's genius was in recognizing that writing harsher laws or hiring more gun-toting policemen would be futile when confronted with a law-breaking culture. Instead he enabled Bogotá's citizens to make change themselves.

Bogotá today remains a city transformed and has proved how short-term efforts at cultural change can yield long-lasting impacts. It's a lesson well worth keeping in mind in coming weeks, when U.S. leaders have the opportunity to set a public example for the nation. Of course, America is not nearly as rotten as Bogotá was—it's afflicted with a culture of self-interest, not complete lawlessness. But many of its current problems—from Wall Street and Motor City executives looking for handouts to irresponsible lending in the subprime market to self-serving politicians—have their roots in an ethos of doing for oneself rather than for country. If those in the White House continue to cut corners, why should everyday citizens believe there's anything wrong with lining their own pockets? It's very possible that Geithner's tax blunder was an honest mistake. But in trying to shift a what's-in-it-for-me culture to one of civic-mindedness, beliefs and expectations matter just as much as reality, and Obama must take a stronger stand on ethical lapses in the future.

Fisman is co-author of “Economic Gangsters: Violence, Corruption and the Poverty of Nations” and the Lambert Family Professor of Social Enterprise at Columbia Business School.

© 2009

Donnerstag, 22. Januar 2009

Rod Blagojevich, Gouverneur of Illinois


DER SPIEGEL: Stadt der Gangster

An den Meistbietenden wollte der Gouverneur des Bundesstaats Illinois, Rod Blagojevich, den frei gewordenen Senatssitz des gewählten Präsidenten verschachern. Die Affäre ist typisch für die korrupte politische Kultur in Obamas Heimat Chicago. Wie konnte er in diesem Sumpf Karriere machen?

Rod Blagojevich, Governeur von Illinois
Korruptions- und Amtsenhebungsverfahren
RB wollte die Ernennung des frei werdenden Sitzes Obamas im US-Senat verkaufen.
"Senate Candidate 5", Jesse Jackson Jr., soll RB versprochen haben ihm eine halbe Million Dollar zu besorgen.
"Chicago politics":
Politik al sMittel der persönlichen Bereicherung hat in Chicago Tradition: immer schon berühmt für ihre Gangster (Al Capone), korrupte Politiker und käufliche Gewerkschaftler.
Obama, konnte das Partei-Establishment umgehen, weil er seine Karriere in Hyde Park begann, einem multikulturellen, linken Viertel im Süden Chicagos.
Die korrupte politische Kultur Chicagos habe Obama allerdings nie aktiv bekämpf, "Obama und viele andere Politiker aus Illinois weichen dem Problem nur aus " (Don Rose, demokratischer Politikstratege und seinerzeit Presseprecher von MLK).


LINKS

Dienstag, 20. Januar 2009

(über) Leon de Winter: "ein knallharter Opportunist"

sich sonnend im historischen Glanze...

20. Januar 2008 – der erste „nicht-weiße“ Weltpräsident wird sein Amt gegen 18:00 CET antreten.

In der Hautfarbe liegt “das Wesentliche dessen, was sich am 20. Januar vollziehen wird“, behauptete Leon de Winter in einem in der Welt veröffentlichen Artikel über Obama, dort mit der Zeile „ein knallharter Opportunist“ betitelt.

Wären es lediglich Behauptungen, könnte man gewiss damit leben, sogar, wenn die Befürchtung besteht, dass ihnen verdammt viel Wahrheit zukommt. Denn, um sämtliche Hürden, die dem Amt des – immer noch – Weltpräsidenten vorgelagert sind, politisch zu überleben wird man höchstwahrscheinlich nicht mit weißer Weste durchgestartet, geschweige denn angekommen sein, erst recht nicht „in der Welt des ‚radical chic‘ in Illinois“.

Aber die nicht gerade brillantesten Sätze des Leon de Winter sind auch eine „Beklagung“ der modernen Besonnung im historischen Glanze, einen Schwarzen zu wählen, ist eine wohlfeile Gelegenheiten, „zu reichlich billigem 'historischen' Gefühl zu gelangen: Wer einen unbekannten und unerfahrenen Schwarzen einer oder einem erfahrenen Weißen vorzieht, beweist sich und der Welt seine moralische Erhabenheit.“

 Obama, verfüge „über die richtige Ausstrahlung, die richtige Rhetorik, und er ist ein bisschen schwarz [….], sieht aus wie ein kultivierter Mensch, […] ist dunkelhäutig, aber nicht schwarz (ein Mann mit richtiger Haut wäre niemals so weit gekommen)“. Wow!, Leon!

Ob er,  „als der am weistesten links orientierte Präsident der amerikanischen Geschichte, ein konservatives Land regieren“ kann?

An manchen Stellen drängt sich die Hoffnung auf, de Winter hätte jetzt endlich die Lager gewechselt und sei zur Vernunft gekommen – indem er seine literarischen Befähigungen freundlicherweise zur Verfügung stellt, um die Absurditäten mancher Konservativen klarer herauszuschälen, wie in folgender Kostprobe: „Abermillionen Menschen auf der Welt sind seinem Stil, seiner Rhetorik (bzw. der Rhetorik Axelrods), der Ruhe, die er ausstrahlt (man stelle sich vor, er könnte mal wütend werden und plötzlich das Gesicht des „angry black man“ zeigen!),,. Oder diese, die offensichtlich dem Arsenal republikanischer Wahlpropaganda entnommen wurde: Obama halte die Arbeiten, „die er während seines Studiums an der Harvard und der Columbia University geschrieben hat, sorgsam unter Verschluss, weil er offenbar fürchtet, sie “ könnten ihm bei dem Versuch, seine linksradikalen Jahre zu verschleiern, hinderlich sein.“

Doch, Fehlalarm! Leon de Winter gehört weiterhin zu jener Sorte Literaten, die den Beweis führen, dass politische Klugheit keine notwendige Bedingung von schriftstellerischem Erfolg ist, wohl aber eine hinreichende, um einfältige Meinungen über den Äther zu verbreiten.

„Faszinierend“ findet er vor allem, „dass die Welt den knallharten Opportunisten dringender benötigt als den sanften Propheten“.

Halleluja!

P.S.

Es ist nicht wahr, dass das Fußvolk, von welchem der „sanften Propheten“ McCain sich auf die Präsidentenbühne heben lassen wollte, zum angenehmsten auf diesem Planet gehört. Und vielleicht, sollte Leon de Winter bedenken, dass der Prophet erst recht angesichts der rassistischen Ausfälle seiner Wählerschaft („ist ein Araber“, usw.) seine Sänfte und seine wahre Größe offenbart hat.

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http://www.welt.de/welt_print/article2964174/Ist-er-nur-ein-begnadeter-Opportunist.html

Donnerstag, 8. Januar 2009

CLAUDE LÉVI-STRAUSS:Entropologie und die klaffenden Risse in der Mauer der Notwendigkeit



CLAUDE LÉVI-STRAUSS: Traurige Tropen

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Die Welt hat ohne den Menschen begonnen, und sie wird ohne ihn enden. Die Institutionen, die Sitten und Gebräuche, die ich mein Leben lang gesammelt und zu verstehen versucht habe, sind die vergänglichen Blüten einer Schöpfung, der gegenüber sie keinen Sinn besitzen, es sei denn vielleicht den, dass sie es der Menschheit erlauben, ihre Rolle in dieser Schöpfung zu spielen. Abgesehen davon, dass diese Rolle der Menschheit keinen unabhängigen Platz verschafft und dass dasBemühen des Menschen – auch wenn es zum Scheitern verurteilt ist – darin besteht, sich vergeblich gegen einen universellen Verfall zur Wehr zu setzen, erscheint der Mensch selbst als eine Maschine – vollkommener vielleicht als die übrigen –, die an der Auflösung einer ursprünglichen Ordnung arbeitet und eine in höchstem Maße organisierte Materie in einen Zustand der Trägheit jagt, die immer größer und eines Tages endgültig sein wird.

Seitdem der Mensch begonnen hat, zu atmen und sich zu ernähren, seit der Entdeckung des Feuers bis zur Erfindung atomarer und thermonuklearer Verrichtungen, hat er – außer wenn er sich fortpflanzte – nichts anderes getan, als unbekümmert Milliarden von Strukturen zu zerstören, um sie in einen Zustand zuversetzen, in dem sie sich nicht mehr integrieren lassen. Ohne Zweifel hat er Städte gebaut und Felder bestellt; aber letztlich sind auch diese Dinge nur Maschinen, dazu

bestimmt, Trägheit zu produzieren, und zwar in einem Rhythmus und in einem Verhältnis, die weit größer sind als die Menge an Organisation, die diese Städte und Felder voraussetzen.

Was die Schöpfungen des menschlichen Geistes betrifft, so existiert ihr Sinn nur in Bezug auf ihn selbst, und sie werden im Chaos versinken, sobald er erloschen sein wird. So dass sich die ganze Kultur als ein Mechanismus beschreiben lässt, in dem wir nur zu gern die Chance des Überlebens sehen möchten, die unser Universum besitzt, wenn seine Funktion nicht darin bestünde, das zu produzieren, was die Physiker Entropie und wir Trägheit nennen. Jedes ausgetauschte Wort, jede gedruckte Zeile stellt eine Verbindung zwischen zwei Partnern her und nivelliert die Beziehung, die vorher durch ein Informationsgefälle, also durch größere Organisation gekennzeichnet war. Statt Anthropologie sollte es „Entropologie“ heißen, der Name einer Disziplin, die sich damit beschäftigt, den Prozess der Desintegration in seinen ausgeprägtesten Erscheinungsformen zu untersuchen.

Dennoch existiere ich. Sicher nicht als Individuum; denn was bin ich in dieser Hinsicht anderes als der Einsatz im Kampf zwischen einer Gesellschaft, welche aus Milliarden von Nerven unter dem Termitenhügel des Schädels besteht, und meinem Körper, der ihm als Roboter dient? Weder die Psychologie noch die Metaphysik, noch die Kunst können mir Zuflucht sein, Mythen, die von nun an, auch von innen her, einer Soziologie neuer Art unterworfen sein können, die eines Tages entstehenund sie nicht freundlicher behandeln wird als die alte. Das Ich ist nicht allein hassenswert; es hat auch keinen Platz zwischen einem Wir und einem Nichts. Und wenn ich mich letztlich für dieses – wie auch immer scheinhafte – Wir entscheide, so deshalb, weil mir, will ich mich nicht selbst zerstören – eine Tat, welche die Bedingung der Entscheidung aufheben würde –, nichts bleibt, als eine Wahl zwischen diesem Schein und dem Nichts zu treffen, so dass ich durch eben diese Wahl meine menschliche Lage ohne Vorbehalt auf mich nehme: Indem ich mich von einem intellektuellen Hochmut befreie, dessen Eitelkeit ich an der seines Gegenstands ermessen kann, bin ich auch bereit, seine Ansprüche den Anforderungen unterzuordnen, welche die Befreiung einer großen Masse von Menschen stellt, denen die Möglichkeit einer solchen Wahl seit jeher verweigert wird. Sowenig das Individuum in der Gruppe und eine Gesellschaft unter den anderen allein ist, sowenig auch ist der Mensch allein im Universum.

Wenn der Regenbogen der menschlichen Kulturen endlich im Abgrund unserer Wut versunken sein wird, dann wird – solange wir bestehen und solange es eine Welt gibt – jener feine Bogen bleiben, der uns mit dem Unzugänglichen verbindet, und uns den Weg zeigen, der aus der Sklaverei herausführt und dessen Betrachtung dem Menschen, auch wenn er ihn nicht einschlägt, die einzige Gnade verschafft, der er würdig zu werden vermag: nämlich den Marsch zu unterbrechen, den Impuls zu zügeln, der ihn dazu drängt, die klaffenden Risse in der Mauer der Notwendigkeit einen nach dem anderen zuzustopfen und damit sein Werk in demselben Augenblick zu vollenden, da er sein Gefängnis zuschließt; jene Gnade, nach der jede Gesellschaft begehrt, wie immer ihre religiösen Vorstellungen, ihr politisches System und ihr kulturelles Niveau beschaffen sein mögen; jene Gnade, in die sie ihre Muße, ihr Vergnügen, ihre Ruhe und ihre Freiheit setzt; jene lebenswichtige Chance, sich zu entspannen, loszulösen, das heißt die Chance, die darin besteht – lebt wohl, Wilde! lebt wohl, Reisen! –, in den kurzen Augenblicken, in denen es die menschliche Gattung erträgt, ihr bienenfleißiges Treiben zu unterbrechen, das Wesen dessen zu erfassen, was sie war und noch immer ist, diesseits des Denkens und jenseits der Gesellschaft: zum Beispiel bei der Betrachtung eines Minerals, das schöner ist als alle unsere Werke; im Duft einer Lilie, der weiser ist als unsere Bücher; oder in dem Blick – schwer von Geduld, Heiterkeit und gegenseitigem Verzeihen –, den ein unwillkürliches Einverständnis zuweilen auszutauschen gestattet mit einer Katze.

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Claude Lévi-Strauss in: Traurige Tropen