Sonntag, 16. Mai 2010

PLATON - TIMAIOS

PLATON - TIMAIOS

Von denjenigen, die als Männer entstanden waren, wurden alle Feiglinge und jene, die ihr Leben auf ungerechte Weise verbrachten - so lautet die wahrscheinliche Erklärung -, bei ihrer zweiten Entstehung in Weiber verwandelt. Und aus eben diesem Grunde ließen die Götter zur selben Zeit die Begierde nach der Begattung entstehen: sie schufen zwei beseelte Wesen, das eine in uns, das andere in den Weibern, wobei sie das eine und das andere folgendermaßen hervorbrachten. Den Durchgang für die Flüssigkeit, dort, wo dieser das Getränk, das durch die Lunge und unter den Nieren durch in die Blase geleitet wird, in sich aufnimmt und es unter dem Druck des Atems wieder ausstößt, durchbohrten sie und verbanden ihn mit der festen Masse des Marks, die sich vom Kopf durch den Nacken und das Rückgrat hinunterzieht und die wir vorhin in unserer Untersuchung als Samen bezeichnet haben. Weil dieses Mark aber beseelt ist und weil es nun einen Ausweg fand, rief es dort, wo es ausströmen konnte, lebenschaffende Begierde nach dem Erguß hervor und bewirkte dadurch schließlich das Verlangen nach Zeugung. Daher sind denn auch die Schamteile der Männer schwer zu beherrschen und selbstherrlich wie ein Lebewesen, das auf keine Vernunft hört, und sie versuchen mit ihren aufstachelnden Begierden über alles die Oberhand zu gewinnen. Bei den Weibern dagegen empfindet aus denselben Gründen das, was man als Uterus oder Gebärmutter bezeichnet und was wie ein lebendiges Wesen in ihnen ist, das Verlangen, Kinder zu gebären. Wenn es trotz der Reifezeit lange keine Frucht tragen darf, so kann es das nur schwer und unwillig ertragen; es irrt dann im ganzen Leib umher, verstopft die Kanäle der Luft und hindert das Atmen; dadurch bringt es den Leib in die äußersten Bedrängnisse und hat auch sonst mannigfache Krankheiten zur Folge, bis die gegenseitige Begierde und Liebe die beiden zusammenführen und gleichsam wie von Bäumen die Frucht pflücken; wie in eine Ackerfurche säen sie kleine Lebewesen in die Gebärmutter hinein, die so winzig sind, daß man sie nicht sieht, und die auch noch keine Gestalt haben; diese trennen sie dann wieder ab und ernähren sie im Inneren des Leibes, bis sie groß sind; darauf bringen sie sie ans Licht und vollenden so die Entstehung der Lebewesen.
Auf diese Weise sind die Weiber und das ganze weibliche Geschlecht entstanden; der Stamm der Vögel aber ging, indem sie anstelle der Haare Federn bekamen, durch Umgestaltung aus jenen Männern hervor, die nicht schlecht, aber von leichter Art sind und sich wohl mit überirdischen Dingen befassen, aber in ihrer Einfalt meinen, was ihnen das Auge davon zeige, das biete am meisten Verlaß. Die Tiere aber, die auf der Erde leben, entstehen aus jenen Männern, die sich in keiner Weise mit der Philosophie abgeben und auch keinerlei Betrachtungen über die Natur dessen anstellen, was sich am Himmel abspielt, und zwar darum, weil sie die Kreisläufe in ihrem Kopf nicht mehr anzuwenden wissen, sondern jenen Teilen ihrer Seele Gefolgschaft leisten, die sich in ihrer Brust befinden. Weil sie sich nur mit diesen beschäftigen, wurden ihre vorderen Gliedmaßen und ihre Köpfe infolge der Verwandtschaft mit der Erde von dieser angezogen und neigen sich zu ihr hinab; ihre Schädel wurden lang und nahmen alle möglichen Formen an, je nachdem die Umläufe bei einem jeden infolge der Untätigkeit zusammengedrückt wurden; aus dieser Ursache wurde ihre Gattung zu einer vierfüßigen oder sogar vielfüßigen, wobei der Gott den Dümmeren unter ihnen auch mehr Stützen unterlegte, damit sie noch mehr zur Erde niedergezogen wurden. Die Dümmsten aber unter ihnen, die ihren ganzen Leib völlig zur Erde niederstreckten, die brauchten überhaupt keine Füße mehr und wurden so geschaffen, daß sie sich ohne Füße auf der Erde kriechend fortbewegten. Die vierte Gattung schließlich, die im Wasser lebt, ist aus den Allerunverständigsten und Unbelehrtesten entstanden; die Götter, die diese Verwandlungen vornahmen, hielten sie nicht einmal des reinen Atmens wert, weil sie ihre Seele mit jeder Art von Fehlern unrein hielten; deshalb stießen sie sie aus dem reinen und leichten Atemholen in der Luft hinunter zum Einatmen des schlammigen Wassers in der Tiefe. So entstand das Volk der Fische und der Muscheltiere, und was sonst noch im Wasser lebt, und erhielt, entsprechend seiner abgrundtiefen Unbelehrtheit auch seinen Wohnsitz in den tiefsten Abgründen. Und so werden denn heute wie damals alle Lebewesen verwandelt, das eine in das andere, und ändern ihre Gestalt, je nachdem wie sie an Vernunft oder Unvernunft verlieren oder gewinnen.
Und jetzt dürfen wir wohl endlich behaupten, das Ziel unserer Rede über das All erreicht zu haben. Denn so hat nun diese Welt sterbliche und unsterbliche Wesen in sich aufgenommen und ist von ihnen erfüllt, als ein sichtbares lebendiges Wesen, das selbst wieder das Sichtbare umfaßt, ein wahrnehmbarer Gott, als das Abbild des denkbaren, und ist zu diesem größten und besten, zum schönsten und vollkommensten Himmel geworden, wie es keinen anderen geben kann.

PLATON - TIMAIOS