Donnerstag, 14. Februar 2008

Berufungsinstanz - Adorno

Berufungsinstanz. - Nietzsche hat im Antichrist das stärkste Argument nicht bloß gegen die Theologie, sondern auch gegen die Metaphysik ausgesprochen: daß Hoffnung mit Wahrheit verwechselt werde; daß die Unmöglichkeit, ohne ein Absolutes zu denken, glücklich zu leben oder überhaupt nur zu leben, nicht für die Legitimität jenes Gedankens zeuge. Er widerlegt den christlichen »Beweis der Kraft«, daß der Glaube wahr sei, weil er selig mache. Denn »wäre Seligkeit - technischer geredet, Lust - jemals ein Beweis der Wahrheit? So wenig, daß es beinahe den Gegenbeweis, jedenfalls den höchsten Argwohn gegen 'Wahrheit' abgibt, wenn Lustempfindungen über die Frage 'was ist wahr?' mitreden. Der Beweis der 'Lust' ist ein Beweis für 'Lust' - nichts mehr; woher um alles in der Welt stünde es fest, daß gerade wahre Urteile mehr Vergnügen machten als falsche und, gemäß einer prästabilierten Harmonie, angenehme Gefühle mit Notwendigkeit hinter sich dreinzögen?« (Der Antichrist, Aph. 50) Aber Nietzsche selber hat den amor fati gelehrt, »du sollst dein Schicksal lieben«. Das, heißt es im Epilog der Götzendämmerung, sei seine Innerste Natur. Und es wäre wohl die Frage zu stellen, ob irgend mehr Grund ist, das zu lieben, was einem widerfährt, das Daseiende zu bejahen, weil es ist, als für wahr zu halten, was man sich erhofft. Führt nicht von der Existenz der stubborn facts zu deren Installierung als höchstem Wert der gleiche Fehlschluß, den er dem Übergang von der Hoffnung zur Wahrheit vorwirft? Wenn er die »Seligkeit aus einer fixen Idee« ins Irrenhaus verweist, so könnte man den Ursprung des amor fall im Gefängnis aufsuchen. Auf die Liebe zu Steinmauern und vergitterten Fenstern verfällt jener, der nichts anderes zum Lieben mehr sieht und hat. Beide Male waltet die gleiche Schmach der Anpassung, die, um nur überhaupt im Grauen der Welt aushalten zu können, dem Wunsch Wirklichkeit zuschreibt und dem Widersinn des Zwangs Sinn. Nicht weniger als im credo quia absurdum kriecht Entsagung im amor fati, der Verherrlichung des Allerabsurdesten, vor der Herrschaft zu Kreuz. Am Ende ist Hoffnung, wie sie der Wirklichkeit sich entringt, indem sie diese negiert, die einzige Gestalt, in der Wahrheit erscheint. Ohne Hoffnung wäre die Idee der Wahrheit kaum nur zu denken, und es ist die kardinale Unwahrheit, das als schlecht erkannte Dasein für die Wahrheit auszugeben, nur weil es einmal erkannt ward. Hier viel eher als im Gegenteil liegt das Verbrechen der Theologie, gegen das Nietzsche den Prozeß anstrengte, ohne je zur letzten Instanz zu gelangen. An einer der mächtigsten Stellen seiner Kritik hat er das Christentum der Mythologie geziehen: »Das Schuldopfer, und zwar in seiner widerlichsten, barbarischsten Form, das Opfer des Unschuldigen für die Sünden der Schuldigen! Welches schauderhafte Heidentum!« (Der Antichrist, Aph. 41) Nichts anderes aber ist die Liebe zum Schicksal als die absolute Sanktionierung der Unendlichkeit solchen Opfers. Der Mythos trennt Nietzsches Kritik an den Mythen von der Wahrheit.
Adorno in Minima Moralia
Onlineausgabe der Minima moralia hier: