Donnerstag, 2. September 2010

Die Häuptlinge und ein glückseliges Lächeln auf traurigen Lippen

Die Häuptlinge standen untereinander sowohl mit friedlichen Mitteln als auch durch Krieg in ständiger Konkurrenz. Im friedlichen Wettbewerb waren sie bestrebt, einander mit Geschenken und großen Festen zu übertreffen, mit denen sie sich Ansehen verschafften, ihre Gefolgsleute belohnten und Verbündete anlockten.
Jared Diamod: Kollaps (Warum Gesellschaften überleben und untergehen)

"Alle die hier hineinkommen, tragen ein Lächeln auf den Lippen", sagt eine Dame als ich den Chemotherapie-Raum betrete.
Ich kenne den Grund und nenne ihn auch: "jetzt erst recht!". Nicht zu leben ist ein Verbrechen, dies gilt vor allem dann, wenn deine letzten Tage bereits von Dritten angeläutet werden. Daher tragen Todgeweihte dies sanfte Lächeln auf ihren traurigen Lippen, daher auch trennen sie schnell Weizen vom Spreu, pflegen keine trostlosen Bekanntschaften mehr, ziehen sich auf die wenigen übriggebliebenen (es bleiben wenig übrig, wenn man wenig Zeit hat) Freunden zurück, lesen keine dummen Bücher und interessieren sich nicht für kurzlebige Nachrichten.
Wer kurz vor der Ewigkeit steht, schert sich einen Dreck um die Ephemeren des Lebens. Anders ausgedrückt: es kommt nicht auf das "wie lange" sondern lediglich auf das "Wie". Sagte doch Borges, man brauche nicht hunderte von Büchern zu lesen, eins tue es auch, oder mit Proust, das Entscheidende ist nicht die Landschaft, sondern ihre Wahrnehmung, nicht auf die vorbeiziehende Schönheit kommt es an, sondern darauf, wie ich ihr erlaube auf mich einzuwirken.

Montag, 30. August 2010

ars morendi, ars vivendi

es ist vage, das Leben und der Tod
Samuel Becket
eine Freundin, eigentlich müsste ich sagen: meine frühere Lebensgefährtin schenkt mir ein Buch über den Tod (in der Literatur), mein allerbester Freund (den Titel müsste er sich richtigerweise mit einem zweiten ebenfalls allerbesten Freund teilen) verabschiedete sich vom Leben, weil er als Stegreifreferat beim Goethe-Institut als ein von zwei Themata den Tod in der westlichen Kultur erhielt (dieses "weil" ist als notwendig, wenn auch nicht hinreichend zu verstehen).
Denke ich an die Kunst des Sterbens, dann drängen sich unweigerlich drei Gestalten vor meinen Augen: Foucault, Nietzsche, Heidegger (Nazi-Heidegger). Ich finde es müsste richtigerweise heissen: Leben am Limit. Es gibt keine Kunst des Sterbens, weil das Sterben meistens keine Zeit für Kunst lässt. Das Leben angesichts des Todes (mit dem Tod vor Augen) ist das entscheidende Moment. Wenn du weisst, dass deine Tage gezählt sind, dann musst du dein Restleben kunstvoll gestalten. Menschen mit einem verkürzten Lebenserwartung haben es leichter: sie müssen erst recht ihr Restleben mit Würde schmücken, sie dürfen keine Zeit mehr verlieren, mit für sie unwesentlichen Dingen, mit schmuddeligen Freundschaften, mit nutzlosen Hinweisen, wie gut gemeint sie auch sein mögen. Es lebt sich intensiver, wenn das Todesurteil feststeht.
Von Tod, Todesvorstellungen, dem Umgang mit Sterbenden und neuen Formen der Sepulkralkultur war in den letzten Jahren viel die Rede, meist aber und immer noch verbunden mit der sogenannten Verdrängungsthese.
(...) Literatur steht hier für narratives Material ganz allgemein, das seinen Beitrag leistet nicht nur zur mehr oder weniger realistischen Wiedergabe gesellschaftlicher Einstellungen zum Tode, sondern seinerseits prägend wirkt bei der Formierung von Todesbildern.
(...)Literatur ist nicht nur ein ästhetisch gebrochener Spiegel der Realität, sondern auch Produzentin symbolischer Ordnungen und Vorstellungen, die auf die Wahrnehmung von Realität Einfluss nehmen.
Karin Priester: Mythos Tod
Tod und Todeserleben in der modernen Literatur)

Freitag, 27. August 2010

mein Leben mit Ratiopharm

Einser-Abiturient (gone)
Antonio Salgado
in memoriam
wir entscheiden uns für ein bestimmtes Betriebssystem und bestehen drauf ohne letztendlich zu wissen warum (als ob es möglich wäre letztendlich etwas zu wissen).
Für digital Unbewanderte sei erklärt: ein Betriebssystem ist eine Art zu funktionieren, auch ein Mensch ist ein System und hat als solches seine eigene Art, multiple müsste man sagen, betrieben zu werden (meine aktuelle Art heisst Google, weil ich Google derzeit für die bessere Welt halte).

Bezüglich digitaler Betriebssysteme schwöre ich auf Windows (halt weil es kein Google-Betriebssystem für Computer gibt). Früher habe ich proudly (stolz) auf TOS gesetzt, Tramiel Operating System, oder so ähnlich, das Atari-Betriebsystem, das erste, meine ich, mit einer graphischen Benutzeroberfläche, wo man Sachen die nicht da sind, mit einer Hand-(Maus-)Bewegung auf dem Bildschirm hin und her verschieben konnte.
Da es Atari nicht mehr gibt, setze ich auf Windows, das beruhigt meine stets aufgewühlte Antipathie für Apple und seine Anhänger (Sannyasins) ungeheuer.
Mein bester Freund setzte auf Apple und war ganz stolz auf seinen dämlichen Macintosch. Ich halte Apple-Nutzer immer noch für sehr dumm. Da mein Freund einen Einser-Abintur hinlegte, hege ich Zweifel an der Richtigkeit meiner Theorie, sie kann genausogut Einbildung sein, Arroganz, oder auch nur Neid gegenüber Mehr-als-ich-erfolgreiche-Abiturienten (wow!). Allerdings hat sich mein Freund mit knapp 30 Jahren aufgehängt, also zweifle ich wiederum an meinen Zweifel, vielleicht sind Einser-Abiturienten grundsätzlich dümmer als Zweier-Abiturienten (und diese dümmer als Dreier, und so fort). Und, vielleicht, sind wirklich die Dummen die wahren Klugen. Wie sagte doch Nietzche in "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben"? Fragt der Mensch das Schaf, warum es so glücklich sei. Daraufhin will das Schaf erwidern: "weil ich alles so sofort vergesse". Aber auch dies hat das Schaf sofort wieder vergessen, so dass der Mensch bis heute nicht weiss, warum die Tiere oft so glücklich und ausgeruht uns anblicken.
Neuerdings stehe ich auf Ratiopharm (befriedigt meine Aversionen gegen BASF). Warum? Weil sie neu hinzugekommen sind, sie sind noch nicht so institutionalisiert wie die Etablierten. Ausserdem wissen wir dass BASF (IG Farben) schon im Dritten Reich reichlich mitverdient haben und am Nazitum auf jeder erdenklichen Weise profitiert hat, soweit ich mich erinnern kann sogar in der Produktion von Zyklon B, jenes Gas welches in den Vernichtungslagern verwendet wurde.
Auch Google ist mir sympatischer als Microsoft, und beide mir sympathischer als Fidel Castro, Ahmadineschad und die chinesische Führung.
Ich lese immer Ratiofarm (zwei Hektar Vernunft), aber gut, auch gescheite Menschen haben oft einen dummen Namen.

P.S.
Ich beschließe heute nur noch im Blocksatz zu schreiben. Sozusagen eine kleine Homage an meine befreundeten Einser-Abiturienten, vor allem an meinen kleinen dummen besten Freund, der mich mit knapp dreissig Jahren hier alleine gelassen hat, und mir heute erneut feuchte Augen gekostet hat (ich verweichliche offensichtlich, liegt wohl an Ratiofarm oder an Windows).

Mittwoch, 25. August 2010

es ist soweit...

Mein kleiner Kater Surrogato hat sich in die Aquariumfische verliebt. Man spürt es ihm richtig an, dass er sämtliche Fische dort einzeln in die Arme aufnehmen möchte, und an sich drücken noch dazu.
Manchmal springt er hoch und klopft an das Aquariumglas mit seinen rosenen kleinen Pfötzchen. Es ist wirklich wahre Liebe was da vor sich geht, leider wird sie von den Fischen nicht erwidert.

Samstag, 21. August 2010

El El Oh! (Letzter Leitz Ordner)


Paar Gedanken an Schlingensiefs trauriger (und trostloser) Abgang mit 49



In einer modernen Fassung
ultra ultra modern
ich sollte Gedichte schreiben
sagte sie
weil meine Prosa beschiessen ist
das sagte sie nicht

Was gehört in so einen letzten Leitz-Ordner hinnein?
ich habe keinen Bock auf Himmel
sagte Schlingensief
und doch ist er heute von dannen gegangen
nicht in den Himmel
in den ewigen Kreislauf des Lebens
solange es Leben geben wird
schön für ihn (schön???)
beschiessen für uns
verdammt, man stirbt so alleine
und doch stirbt mit Schlingensief
ein bisschen von uns allen
einer der traurigsten Tage meines Lebens dieser heutige
shit, bullshit, scheisse,
dieses Hinscheiden hat mir eine verlorene Träne gekostet
todkranke haben keinen Sinn für den Anstand der Wörter mehr
dass diese welchen hatten, ist meine allerneueste Entdeckung
Eine todernste Angelegenheit

die letzten Haare (noch nicht!)



El El Oh!
Letzter Leitz-Ordner
um mein Leben aufzusammeln
in welcher Farbe sein Umschlag?

Der letzte Satz
das letze Wort
birgt in sich alle Wörter eines Tages
alle Wörter eines Wesens
alle Wörter
überhaupt das All

The Last Tape
sagt Becket
und dannach wird geschwiegen
what for?
seltsam
die bekennenden Pessimisten sind die wahrhaftigsten Tagträumen
sie brauchen einen Sinn, denn sie leugnen müssen

Die letzten Gedanken?
Das Universum, das Aleph
sagt Borges
ein Punkt schliesst alle Punkte ein
alle Flächen, alle dreidimensionale Körper
ob es gelogen ist?
doch, im Sinne dass jeder Punkt das Universum einschliesst
dass ohne diesen jenen Punkt das Universum zusammenfällt
wie ein durchstochener Luftballon


Der Tod macht das Leben erst sinnvoll
das Ende beim Fussballspiel gibt dem Ganzen seinen Sinn
und zum Ende hin wird es spannender und spannender
und spannender, sagt Heidegger

Die letzten Haare?
Nein, danke!
Noch nicht!

Dienstag, 17. August 2010

De Madrid al Cielo


"De Madrid solo el cielo", so wird es wohl ursprünglich gewesen sein, erklärt mir, unser Mann in Madrid, Juanjo: Wenn Madrid der Rede wert sein sollte, dann höchstens in seinem Himmel. Irgendein Kluger beim Ayuntamiento wird anschließend wohl auf die Mutation verfallen sein "de Madrid al cielo", was soviel bedeutet wie: Vom Madrid in den Himmel (nach Madrid kommt nur noch der Himmel). Und dies wiederum besagt, dass die Steigerung vom Madrid Himmel zu sein hat, oder dass man vom Madrid direkt in den Himmel gelangen kann (Hemingways Kurzgeschichten unter dem Titel "Männer ohne Frauen").
Dies das Ergebnis einer gemeinsam verbrachten Nacht zwischen Juanjo (Unser Mann in Madrid), Rolf Timpert (Graphik und Abendessen) und mir (der für die Arbeit und die schlechte Laune zuständig war), sowie zwei sehr hübsche Französinnen und einige eigenen Kinder.

Sonntag, 15. August 2010

El Surrogato


Olégato (esta de Juanjo y Carlos - la tilde) al futuro Surrogato
Was macht ein in knapp dreißig Tagen werdender ex-alleinerziehender Vater, um den Verlust des ausziehenden Sohnes auszugleichen?
Er tut das, was die Sprache vorschreibt, unterwirft sich dem Verbum, und sucht sich ein Surrogat. Der spanische Surrogato indiziert eindeutig worauf es ankommt: eine Katze muss her. Das ist das Nette an einer Multikultifamilie mit spanischen und portugieschen Wurzeln, mit französichen Pässen, einem Möchtegerne-US-Bürger portugiesischer Abstammung und hebräischen Kindervornamen: der Zwangsraum für sprachliche, ich meine, von der Sprache vorgegebenen Interpretationszwang, nimmt an Umfang zu. Und diese Erweiterung des Zwangumfanges führt nun zur Freiheit, man hat die Wahl (Ihr Diktatoren dieser Erde! Kommt her mit eurem Zwängen, euren Gesetzen, euren Richtlinien! Gibt mir die Freiheit her!).
Welch ein Glück, dass das spanisch-portuguiesische Gato (männlich) für Katze (weiblich) steht. Dies wird meiner jetztigen Katze (männlich), die auf den Namen Mini-moche (französich für Klein-Hässlich) leider nicht hört, vermutlich hoch erfreuen, denn nun wird heute im Tierheim einen Hausgenossen, Mitbewohner und Lebensgefährten (weiblichen Geschlechts) erworben.
Ob dies dem Auslöser der ganzen Aktion gefallen wird, dem surrogatierten Sohn?
Kommt wahrscheinlich auf die erwartbare Länge des verbleibenden Lebens des Surrogar-Begünstigten, seines etwas lädierten Vaters.
Die Entscheidung ist somit gefallen, ein Surrogato, pardon EL SURROGATO muss her!

Platz für Bild des Surrogatos

Freitag, 13. August 2010

Kampfeslustig in den zweiten Kriegsmonat

Tag 32
Morphium ante portas, der wahre Feind jedoch verweilt intra muros und ist Teil meines Selbst, oder auch nicht? (wenn ich ihn zum Beispiel zum Teufel schicken möchte, muss ich ihn ausschliessen aus meinem Zellenverband - dies tue ich hiermit. Also: verpisst du dich, bzw. ihr euch große Arschlöcher! Sonst mache ich euch fertig!)

Morphium ante portas
Seit nun einer Woche trage ich mit Göring eine weitere Gemeinsamkeit, Adikte des Morphinats. Es ist eine meiner vielen Verwandlungen - wie die, die mich dazu bringt immer öfters die Tastatur auf der unrichtigen Höhe zu treffen.

Die erste Göringsche Gemeinschaft ist mein schändliches Übergewicht. Im Gegensatz zu Göring werde ich jedoch höchstwahrscheinlich dürr wie ein KZ-Insasse von dannen ziehen, die einzige in Freude ersehnte Nebenwirkung dieser Erkrankung (es ist hiermit das letzte Mal, das ich von meinem Krebs als Erkrankung sprechen werde - ab nun ist ein Krieg!, und ich hoffe nicht, ich bin sicher, ich werde diesen Krieg gewinnen! Ihr Schweine, mal schauen, wer wen hier fertig macht!). Erkrankt ist ein Teil meines selbst. Ich befinde mich im Kriege mit einem Spätankömmling, mit zwei sogar, mit einem Adenokarzinom namens Il Duce, und mit einem Plattenephitelkarzinom namens Adolf. Dieser letzte eine größeres Schwein, was Verwüstung angeht, er hat eine zweite Achse gebildet, unabhängig vom Duce ersonnen und erschafft, die Metastasen in meinem Gehirn, in der Wirbelsäule, in den Nebennieren.
Meine Ärtze (irgendwie zum ersten Mal im Leben, kann ich sagen: meine Ärtze, ich könnte sie auch "meine befreundete nicht mir dienstverpflichtete Generäle, Admirale und Marschälle", dies wäre korrekter jedoch umständlicher) halten den Duce für den ungefährlicheren, sagen wir so: Der Krieg ist ausschließlich gegen Adolf (das dieses Schwein nicht Adolfo heisst, legt lediglich an einer großen Zuneingung zum Vater eines meiner besten Frende) zu führen und seine zweite Achsenmächte.
Gestern haben wir ein Feurgefecht eingelegt, mit dem einfältigsten Gegner, meinem Tumor im Gehirn - letzter Bestrahlungstermin. Entweder haben wir ihn vernichtet oder kaltgesttellt. Wenn er seine Fresse hält für die nächsten 60 Jahre, ist es mir ziemlich gleichgültig, "Leben und leben lassen" ist ein nettes Motto. Ich hatte zwar vor 135 Jahre alt zu werden, habe hier freiwilling und uneigennützlich auf 23 Jahre meines Lebens verzichtet!
Gegen den Duce wird nichts unternommen, würde nur schwächen im Kampfe gegen die Zweiten Achsenmächte. Die Ärtze, "meine befreundeten jedoch nicht ausschließlich mir dienstverpflichteten Generäle, Admiräle und Marschäle", kürzer, meine "wohlgesinnte höchstgradige und höchstrangige Frenmdenlegion, geben mir zwischen ein Paar Monaten und einem Jahr. Wie sie sich irren!
Ich meine zu wissen, dass sie das tun, um mich anzuzetteln, um alle meine Kräfte in mir zu provozieren, und meine letzten Reserven hervorzulocken. Aber meine letzten Reserven brauche ich noch zum Leben! Nach dem neuesten Kompromiß warten noch 60 Jahre auf mich - oh! welche Langeweile, ich in all diesen Jahren nicht alles abwehren müssen werde. Dafür benötige ich "meine letzten Reserven"! Mit Adolf und mit dem Duce werde ich mit links fertig! Schliesslich hat mich das Finanzamt MS-Innenstadt nicht fertig machen können, nicht einmal das Hauptzollamt, nicht einmal die Staatsanwaltschaft, nicht die Hauptfinanzdirektion, alles zusammen womöglich über 1 oder 2 ha groß. Und so ein pummeliger Plattenephitelfritze und ein Möchte-gerne-Mussolini im colon ascendens sollte mich um die Ecke bingen???

Mittwoch, 11. August 2010

(auch) dies ist Freundschaft

Auch über den Stierkampf liegt die soziale Rangordnung wie ein aufgespanntes Netz. Der Stierkämpfer und der Cavaleiro (der Reiter) entspringen den Familien der Züchter. Die Forcados, die Jungs, die hier auftauchen, entstammen dem einfachen Volke, sind stets "amadores" (die aus Liebe Handelnden), und treten ohne Bezahlung auf.
Sie sind ein traurig-schauriges Beispiel von jener sozialen Romantik, die seit jeher so viele Heranwachsenden das Herz zum Weinen gebracht hat und die, wenn sie denn nun wirklich Institution geworden ist, uns ausnahmslos einen Einblick in die grausigsten menschlichen Abgründe ermöglicht müsste (müsste?), und die mit Sadam, Fidel Castro, Kim il Jung ein noch aktuelles Gesicht vorführen.
So schön wie hier, kann es im Himmel doch gar nicht sein...
C. Schlingensief



Dienstag, 3. August 2010

Morphium ante portas

Für die Therapie soll es besser sein wenn keine Schmerzen da sind. Aber was ist besser für mich? Es nütze einem nicht, dem Organismus einen kräftigerenden Wirkstoff zu ersparen und ihn dafür auf halber Kraft fahren zu lassen.
Denke ich an Morphium, denke ich an Göring - restloser Verfall, Abhängigkeit, Wegfall. So lange zu leben wie möglich, aber in einem noch lebenswürdigen Zustand, dies beinhaltet notwendig die Fähigkeit sich mitzuteilen, seinen "Liebsten" etwas mitzugeben, und die Fähigkeit einiges aufzunehmen (auch von den Liebsten).
Das modernere Morphium soll aber nichts mehr mit Göring gemeinsam haben. Ganz sanft und bedenkenlos, bloß effektiv in der Abwehr der nicht erlebenswerten Schmerzen.
Aber wenn es bis jetzt auch mit einem einfacheren Mittel ging, und wenn es auf einmal nicht mehr geht... Was kommt als nächstes?

PS
Das obige Bild stammt von der Jewish Virtual Library (http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/Holocaust/goering.html). Und nicht ausschliesslich wegen Göring, aber beschleunigt durch die Achsenmächte in mir, mein Entschluss im jüdischen Teil eines New Yorker Friedhofs (welchen?) begraben zu werden. Wenn ich nicht schon als Jude leben könnte, so möchte ich (obwohl Atheist) als solcher begraben werden. Ja, ich möchte meine Ewigkeit mit Baruch Spinoza statt des promovierten Germanisten Joseph Goebbels teilen, lieber mit Sarah Silverman als mit den Tänzerinnen des Moulin Rouge, viel lieber mit Lenny Bruce als mit sämtlichen Rechtsgelehrten der Inquisition, gerne mit Bernstein und möglichst weit weg von Karajan (daher New York als unfalschester Ort).
Ob ich einen aufgeklärten, unorthodoxen Rabiner finden mag, der einen Atheisten in die Reihe der Auserwählten aufnimmt?, einen Späthinzugekommenen beim Volke der 37 Gerechten (denn zu diesen geselle ich auf jeden Fall hinzu)?

Donnerstag, 29. Juli 2010

Bye-Byeing (aus dem port.)

Bye-Byeing
Bye-Byeing, lusitanische Wortschöpfung (aus dem modernen Portugiesischen), abgeleitet aus "dizendo adeus", welche soviel besagt wie "bis Gott!".
Ich frage mich, wer diese Begrüßung ersonnen haben mag: waren es die Gläubigen oder ein Heidnischer?
Wenn es die Gläubigen waren, warum heulen sie denn alle so, wenn sie dies Adios wirklich letztmalig, in ihrem letzlich erdachten Sinn, besser noch: in ihrer eschatologischen Bedeutung, zu einem sagen? Wovor fürchten sie sich? Vor Gottes unermesslicher Güte?
Alles spricht dafür, dass die Schöpfung dem Wortereich der Unheidnischen entsprungen sein muss. In der Folge haben sich die Götzendiener (die, welche durch Gott zu Verdienst kommen) ihr angeeignet und zuguteletzt haben die Ungläubigen sie wie eine eine ausgehölhlte Zitronenschale fallen lassen.
Bis Gott
"Adeus" bedeutet auf Nimmerwiedersehen. Bis Einstein war eine wahrscheinliche (es nicht wahr, dass es davon nur eine geben muss) Alternative, dass man sich im einem der nächsten Wiederholungszyklus des atomaren Gesamtuniversums (auch erneut und dies gar endlos) wiederfinden würden, was wir mit Nietzsche "ewige Wiederkehr" nennen, aber eigentlich bereits ein platonischer Gedanke ist (im Phaidon oder im Phaidros?).
Seit Einstein jedoch ist glaubwürdiger geworden, dass es keine "ewige Wiederkehr" gibt. Denn weder die Zeit ist unendlich, noch die Materie ist endlich, in dem von Nietzsche gemeinten Sinne.
Zur Erinnerung: Wenn die Materie endlich ist und die Zeit undendlich, dann ist es lediglich eine Frage des Zeitpunkts bis sich ein beliebiger Zustand wiederholt. An einem einfachen Beispiel verdeutlicht: Wenn wir ein ungezinkter Würfel haben und ihn ununterbrochen werfen, ist es eben "nur eine Frage der Zeit", bis eine bestimmte Augenzahl, sagen wir die 4, fällt. Haben wir zwei ungezinkte Würfel, wird es etwas länger dauern bis eine bestimmte Kombination, sagen wir 4 und 4, erscheint, aber irgendwann kommen, wird sie auf jeden Fall.
Nehmen wir einen dritten und vierten Würfel hinzu, wird es wahrscheinlich immer länger dauern, bis eine bestimmte Würfelkombination, sagen wir alles mit 4 Augen, geworfen ist. Wir sagen dann, dass sie "unwahrscheinlicher" ist, was so nicht ganz korrekt ist.
Richard Feynman, gab in einer Vorlesung das Beispiel, dass er auf der Fahrt zum Veranstaltungsort ein Wagen vor sich hatte mit dem Verkehrszeichen NYC 9738B3. Die Wahrscheinlichkeit dass er diesen Wagen in seinem Leben - Feynman erlag soweit ich mich richtig entsinne einem Krebsleiden - überhaupt träfe, lag nahe bei Null, wobei ich mit "nahe" den räumlichen Abstand von der ersten Nichtnull-Ziffernstelle (ich liebe die deutsche Sprache! Vielleicht ist es doch kein Zufall, dass der Erfinder des "everything goes" aus dem deutschsprachigen Raum stammt) rechts vom Komma zu diesem meine. Die Wahrscheinlichkeit dass dieser Wagen mit diesem Verkehrszeichen direkt vor ihm führe, läge da schon wesentlich weiter vom besagten Komma. Und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Wagen, der damals vor Feynman fuhr, mit jenem Kennzeichen heute bestimmte, nicht geschädigte Neuronen in meinem Gehirn beschäftigt, liegt mit 100% Sicherheit weit jenseits von Borels "universelle Wahrscheinlichskeitsschranke".
Diese Wahrscheinlichkeitsschranke besagt, dass ein Ereignis, dessen Wahrscheinlichkeit unterhalb eines bestimmten Wertes sinke, als nicht eintretbar gelten dürfe, will heissen: es wird niemals eintreten. Eine Wissenschaft, welche sich mit solchen Ereignissen beschäftige, gehöre nicht in eine Taxonomie der Wissenschaften, oder wenn, dann höchstens als Pseudowissenschaft. Nichtsdestotrotz ist dieser unmögliche Ereignis heute eingetreten.
Borges erzählt von jenen Metaphysikern von Tlön, die nicht die Wahrheit suchten, nicht einmal das Wahrscheinliche ("verosimil", eigentlich das, was wahr scheint, aber nicht wahr sein muss), sondern das Erstaunliche. Und derselbe Borges sagt auch, dass ein übernatürliches Ereignis, welches zweimal eintritt keine Furcht mehr einflößt.

Sonntag, 16. Mai 2010

PLATON - TIMAIOS

PLATON - TIMAIOS

Von denjenigen, die als Männer entstanden waren, wurden alle Feiglinge und jene, die ihr Leben auf ungerechte Weise verbrachten - so lautet die wahrscheinliche Erklärung -, bei ihrer zweiten Entstehung in Weiber verwandelt. Und aus eben diesem Grunde ließen die Götter zur selben Zeit die Begierde nach der Begattung entstehen: sie schufen zwei beseelte Wesen, das eine in uns, das andere in den Weibern, wobei sie das eine und das andere folgendermaßen hervorbrachten. Den Durchgang für die Flüssigkeit, dort, wo dieser das Getränk, das durch die Lunge und unter den Nieren durch in die Blase geleitet wird, in sich aufnimmt und es unter dem Druck des Atems wieder ausstößt, durchbohrten sie und verbanden ihn mit der festen Masse des Marks, die sich vom Kopf durch den Nacken und das Rückgrat hinunterzieht und die wir vorhin in unserer Untersuchung als Samen bezeichnet haben. Weil dieses Mark aber beseelt ist und weil es nun einen Ausweg fand, rief es dort, wo es ausströmen konnte, lebenschaffende Begierde nach dem Erguß hervor und bewirkte dadurch schließlich das Verlangen nach Zeugung. Daher sind denn auch die Schamteile der Männer schwer zu beherrschen und selbstherrlich wie ein Lebewesen, das auf keine Vernunft hört, und sie versuchen mit ihren aufstachelnden Begierden über alles die Oberhand zu gewinnen. Bei den Weibern dagegen empfindet aus denselben Gründen das, was man als Uterus oder Gebärmutter bezeichnet und was wie ein lebendiges Wesen in ihnen ist, das Verlangen, Kinder zu gebären. Wenn es trotz der Reifezeit lange keine Frucht tragen darf, so kann es das nur schwer und unwillig ertragen; es irrt dann im ganzen Leib umher, verstopft die Kanäle der Luft und hindert das Atmen; dadurch bringt es den Leib in die äußersten Bedrängnisse und hat auch sonst mannigfache Krankheiten zur Folge, bis die gegenseitige Begierde und Liebe die beiden zusammenführen und gleichsam wie von Bäumen die Frucht pflücken; wie in eine Ackerfurche säen sie kleine Lebewesen in die Gebärmutter hinein, die so winzig sind, daß man sie nicht sieht, und die auch noch keine Gestalt haben; diese trennen sie dann wieder ab und ernähren sie im Inneren des Leibes, bis sie groß sind; darauf bringen sie sie ans Licht und vollenden so die Entstehung der Lebewesen.
Auf diese Weise sind die Weiber und das ganze weibliche Geschlecht entstanden; der Stamm der Vögel aber ging, indem sie anstelle der Haare Federn bekamen, durch Umgestaltung aus jenen Männern hervor, die nicht schlecht, aber von leichter Art sind und sich wohl mit überirdischen Dingen befassen, aber in ihrer Einfalt meinen, was ihnen das Auge davon zeige, das biete am meisten Verlaß. Die Tiere aber, die auf der Erde leben, entstehen aus jenen Männern, die sich in keiner Weise mit der Philosophie abgeben und auch keinerlei Betrachtungen über die Natur dessen anstellen, was sich am Himmel abspielt, und zwar darum, weil sie die Kreisläufe in ihrem Kopf nicht mehr anzuwenden wissen, sondern jenen Teilen ihrer Seele Gefolgschaft leisten, die sich in ihrer Brust befinden. Weil sie sich nur mit diesen beschäftigen, wurden ihre vorderen Gliedmaßen und ihre Köpfe infolge der Verwandtschaft mit der Erde von dieser angezogen und neigen sich zu ihr hinab; ihre Schädel wurden lang und nahmen alle möglichen Formen an, je nachdem die Umläufe bei einem jeden infolge der Untätigkeit zusammengedrückt wurden; aus dieser Ursache wurde ihre Gattung zu einer vierfüßigen oder sogar vielfüßigen, wobei der Gott den Dümmeren unter ihnen auch mehr Stützen unterlegte, damit sie noch mehr zur Erde niedergezogen wurden. Die Dümmsten aber unter ihnen, die ihren ganzen Leib völlig zur Erde niederstreckten, die brauchten überhaupt keine Füße mehr und wurden so geschaffen, daß sie sich ohne Füße auf der Erde kriechend fortbewegten. Die vierte Gattung schließlich, die im Wasser lebt, ist aus den Allerunverständigsten und Unbelehrtesten entstanden; die Götter, die diese Verwandlungen vornahmen, hielten sie nicht einmal des reinen Atmens wert, weil sie ihre Seele mit jeder Art von Fehlern unrein hielten; deshalb stießen sie sie aus dem reinen und leichten Atemholen in der Luft hinunter zum Einatmen des schlammigen Wassers in der Tiefe. So entstand das Volk der Fische und der Muscheltiere, und was sonst noch im Wasser lebt, und erhielt, entsprechend seiner abgrundtiefen Unbelehrtheit auch seinen Wohnsitz in den tiefsten Abgründen. Und so werden denn heute wie damals alle Lebewesen verwandelt, das eine in das andere, und ändern ihre Gestalt, je nachdem wie sie an Vernunft oder Unvernunft verlieren oder gewinnen.
Und jetzt dürfen wir wohl endlich behaupten, das Ziel unserer Rede über das All erreicht zu haben. Denn so hat nun diese Welt sterbliche und unsterbliche Wesen in sich aufgenommen und ist von ihnen erfüllt, als ein sichtbares lebendiges Wesen, das selbst wieder das Sichtbare umfaßt, ein wahrnehmbarer Gott, als das Abbild des denkbaren, und ist zu diesem größten und besten, zum schönsten und vollkommensten Himmel geworden, wie es keinen anderen geben kann.

PLATON - TIMAIOS

Sonntag, 14. März 2010

Kierkegaard: Stimmung

Sören Kierkegaard: Furcht und Zittern
Und Gott versuchte Abraham und sprach zu ihm: "Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebhast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn daselbst zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde."

Wenn das Kind entwöhnt werden soll, so schwärzt die Mutter ihre Brust; es wäre ja schade, sähe die Brust lieblich aus und das Kind dürfe sie nicht bekommen.

Da zitterte Isaak und rief in seiner Angst: "Gott im Himmel, erbarme Dich über mich, Abrahams Gott erbarme dich über mich, habe ich keinen Vater auf Erden, dann sei Du mein Vater!"

Wenn das Kind groß geworden ist und entwöhnt werden soll, dann verbirgt die Mutter jungfräulich ihren Busen, dann hat das Kind keine Mutter mehr.

Von diesem Tag an war Abraham alt; er konnte nicht vergessen, dass Gott solches von ihm gefordert hatte.

Wenn das Kind entwöhnt werden soll, dann ist auch die Mutter nicht ohne Betrübnis.

Abraham konnte nicht begreifen, dass es eine Sünde war; und falls es eine Sünde war, so konnte er nicht verstehen, dass diese vergeben werden würde; denn welche Sünde war entsetzlicher?

Wenn das Kind entwöhnt werden soll, dann hat die Mutter jene kräftigere Nahrung zur Hand, auf dass das Kind nicht umkommen soll.

Abraham bereitete alles zum Opfer, ruhig und mild, aber indem er sich abwandte und das Messer zückte, sah Isaak, dass Abrahams Linke sich in Verzweiflung ballte, dass ein Zittern durch seinen Körper ging - aber Abraham zückte das Messer.
Dann kehrten sie wieder heim, und Sara eilte ihnen entgegen; aber Isaak hatte den Glauben verloren. In der Welt ist darüber niemals ein Wort verlautet.

Sören Kierkegaard: Furcht und Zittern
Stimmung

NACHTRAG VOM 13. AUGUST 2010
Dieser Blogeintrag wird heute zum Label "bye-byeing" hinzugefügt. Gibt ein nettes Vorwort zum Gesamtkapitel.
Erst jetzt verstehe ich Kierkegaard. Wir müssen ledliglich Gott durch Natur ersetzen (das Leben, welches um zu bestehen, an sich selbst nagen muss) und alles ergibt einen Sinn!

Samstag, 13. März 2010

Kierkegaards masks (too much in not enough time)

The anxiety of facing death and his flip side, the anxiety of facing a life that is finite, are both part of the human condition.
To skip the step of confronting Death (jumping into some happily-everafter immortality system) is missing out our only change to experience transcendence.
The neuroses our corner psychotherapist treats ares mere substitutes for our real issue: being responsible for living a meaningful life on the edge of the abyss of death.
The garden-variety neuroses are really masks for our fear of death.

Strategies against the "too much possibility in a time limited self":
  • Close down!
  • Stay inside myself, but make it a virtue!
  • Lose myself in the trivialties of life (caught up in "everydayness")
  • Defiant self-creation
  • Angst itself is the way out!

(T. Cathcart & Daniel Klein: Heidegger and a Hippo walk through those pearly gates)

Sonntag, 7. März 2010

Sonnen und Monde...

Wenn sie diesen Erregungen [Liebesleidenschaft, Lust und Leid, Furcht und Zorn] die Herrschaft behaupteten, dann würde ihr Leben ein gerechtes sein. Und wer die ihm zugemessene Zeit tadellos durchlebt hätte, der würde dann, wieder heimgekehrt in die Stätte des ihm gepaarten Gestirnes, ein glückseliges und ebenbürtiges Leben führen.
Platon, Timaios

Freitag, 26. Februar 2010

Kierkegardsche Grüße aus dem Urlaub

Urlaubsgrusspostkarte eines Manisch-depressiven an seinen Seelendoktor:
"Habe eine wunderbare Zeit. Wünschte mir ich wäre hier!".

P.S.
Diese sich selbst aufdrängende, falsche, Version ist eindeutig more kierkegaardian als das Original, welches so geht:

"... Like the manic-depressive who went on vacation and sent a note back to his psychiatrist: "Having a wonderful time. Wish I were death."
T. Cathcart & D. Klein: Heidegger and a Hippo walk through those pearly gates