Dienstag, 29. Januar 2008

Die Namen der Totenrichter

Hans Blumenberg, Die Vollzähligkeit der Sterne

Die Namen der Totenrichter

Nun weiß dieser Sokrates, der immer von sich behauptete, nichts anderes zu wissen als, daß er nichts wisse, sogar die Namen der Totenrichter im Tribunal über die Toten: Minos, Rhadamanthys, Aiakos und Triptolemos. Er nennt sie in seiner »Apologie« in dem Mythos, mit dem der Dialog »Gorgias« schließt, dem einzigen Mythos übrigens, dem Plato die ganze Wahrheit des Logos zusprechen läßt.
Der Mythos vom Totengericht hat einen eigenen Mythos von seiner Wandlung. Nicht immer war erst über die Toten Gericht gehalten worden. Wie vieles andere hatte sich auch dieses mit der Ab1ösut~g~er Göttergenerationen, von der des Kronos und seinen Titanen zu der des Zeus, geändert. In jener titanischen Vorzeit waren die Menschen am Tage ihres Todes von menschlichen Richtern geprüft und je nach Befund entweder auf die Inseln der Seligen oder in die Unterwelt der Schatten geschickt worden. Als Zeus zur Herrschaft gekommen war, gab es, wie bei Machtwechseln sonst auch, Klagen über ungerechte Urteile, mangelnde Durchsicht der Richter.
Der neue Gott schuf ein neues Verfahren und ließ erst die Verstorbenen durch gleichfalls schon dem Leben und seinen Befangenheiten entzogene Richter aburteilen. Nun gibt es die schiere Durchsichtigkeit. Alle Hüllen sind gefallen, Nacktheit steht gegen Nacktheit, keine Rhetorik vermag Einfluß auf das Gericht zu nehmen. Es ist die mythische Darstellung des Sieges der sokratischen Kritik an der sophistischen Rhetorik, die ihre Macht nur unter den Bedingungen der Undurchsichtigkeit des Leibes auszuüben vermochte.
Die christliche Dogmatik hat den Mythos von der Gerichtsreform des Zeus nur teilweise rückgängig gemacht. Auch für die theologische Eschatologie ist entscheidend, daß der Glaubende den Namen seines Richters weiß. Es gehört zu den Subtilitäten dieses dogmatischen Kapitels, daß nicht der Vater Weltschöpfer das große Gericht abhält, sondern der Sohn: der Menschensohn aus Nazareth, der zum Tag des Gerichts sein Wiederkommen auf den Wolken des Himmels verheißen hatte. Ursprünglich waren die, die vor ihm zu erscheinen hatten, die noch lebenden Empfänger dieser Verheißung gewesen. Erst später, mit dem Terminverzug des Weltendes, wurden es die in ihren Leibern durch die Gerichtsposaune Auferweckten.
Der Rigorismus der Gerichtsidee erscheint gemildert durch die Leiblichkeit auf beiden Seiten als das Gemeinsame zwischen dem menschgewordenen Richtergott und den von ihm zu Richtenden. Der Urteilsspruch stand ohnehin im Buch des Lebens fest. Wie die Freisprüche, die der Apostel im Brief an die Römer durch den Glauben an Tod und Auferstehung des Heilbringers verbürgt sein läßt. Dieser Gedanke von der ‘Rechtfertigung< size="1">Hans Blumenberg, Die Vollzähligkeit der Sterne

Dienstag, 15. Januar 2008

Heilkraft des Hungerns

Ständiges Fasten hält gesund und verlängert das Leben um bis zu 50% - das scheinen Experimente mit Spinnen, Fischen, Mäusen und Affen zu zeigen. Nun testen Forscher eine Pille, die den Effekt ganz ohne Hungerkur simuliert. Lassen sich so die Krankheiten des Alters besiegen?

Kalorische Restriktion
Wer zu 30 bis 50% weniger frisst, der lebt 30 bis 50% länger. Und wichtiger noch: Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Krebs, Schlaganfall und Demenz treten unter fastenden Tieren viel seltener oder später auf – das Altwerden geschieht häufig bei bester Gesundheit.

Die kalorische Restriktion schaltet offenbar einen uralten Überlebensmechanismus an; betroffene Organismen lassen es ruhiger angehen. Die Körpertemperatur von Rhesusaffen etwa sinkt um 0,5 C; die verbleibenden Kräfte werden verwendet, Schäden in den Zellen zu reparieren.
Bei Menschen, nach sechs Monaten, günstigere Insulinwerte und weniger Schäden im Erbgut.

Versuche (Verfettung) mit Resveratrol an Mäusen: Völlerei ohne Reue: auch die Blutzuckerwerte, Leberblieben normal, und Lebenserwartung nicht beeinträchtigt.

Untersuchungen an, wegen einer genetischen Veränderung, besonders langlebigen Hefezellen: das ominöse Gen stellt ein Enzym her, welches das Erbgut schützt und auf diese Weise die Hefezellen länger leben lässt. In Zeiten von Nahrungsmangel schaltet der Organismus das Schutz-Enzym an – und lebt dadurch länger.

Lange hatten die Forscher die kalorische Restriktion für einen rein passiven Prozess gehalten: Während einer Hungerszeit fahren Organismen ihren Umsatz herunter und produzieren weniger schädliche Abfallprodukte. Nun scheint die kalorische Restriktion eine aktive Antwort auf die Umwelt, eine Stressreaktion: Ein bestimmtes Enzym wird angeschaltet, wenn es keine Nahrung gibt.
Das Enzym, auf den Namen „Sirtuin“ getauft, zur Grundausstattung des Lebens zu gehören. Bei Säugetieren wurden 7 verschiedene Sorten des Enzyms entdeckt. Sie werden nach einigen Stunden ohne Mahlzeit angeschaltet und aktivieren ihrerseits bestimmte Proteine: Eine Kaskade von Aktionen erhöht daraufhin Widerstandskraft und Vitalität der Zelle.

Wem die Überlegungen der Pharmakologen abschreckend erscheinen, der mag in Rotwein Trost finden. Ein Liter Rotwein enthält jedoch maximal 15 Milligramm der vermeintlichen Zaubersubstanz Resveratrol. Wer auf die in den Mäusen erfolgreiche Dosis kommen wollte, müsste jeden Tag mindestens 150 Flaschen leeren.
Der Spiegel 50/2006

Das geteilte Land

Deutschland driftet auseinander: Wirtschaftlicher Aufschwung und Massenarmut schließen sich nicht aus. Daran wird auch die nächste Lohnrunde nichts ändern.
Die Politik sieht untätig zu und ist dabei, sich vom Ziel der Chancengleichheit t zu verabschieden.

Zahlen des Statistischen Bundesamtes:
10,6 Millionen Menschen sind von Armut bedroht, 13 % der Bevölkerung, darunter viele Kinder.

„Es gibt keine Ober- und Unterschicht hier, sondern es ist eine Gesellschaft. Und wir sind gut beraten, wenn wir die nicht auseinanderfallen lassen“, behauptet Müntefering.
Wenn Merkel oder Müntefering über D reden, klingt es oft so, als sprächen sie über eine friedliche Märchenwelt irgendwo in der Südsee. Es sind Zeugnisse einer unehrlichen Politik, in der die Realität geleugnet wird, weil der Mut fehlt, die Realität zu ändern.

Investivlöhne: aus Beschäftigten sollen Miteigentümer werden, kleine Kapitalisten, die am Erfolg des Unternehmens teilhaben.
Die Idee hat zwei Schönheitsfehler:
1. Bei einer Unternehmenskrise wäre nicht nur ihr Job, sondern auch ihr Erspartes in Gefahr.
2. Der Spielraum für Lohnerhöhungen kann nur einmal ausgeschöpft werden, er würde durch Investivlöhne nicht erweitert, nur anders aufgeteilt.

An der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich ändern die Debatten und Tarifauseinandersetzungen nichts. Wer arbeitslos ist, geht leer aus.

Es ist nicht der Mangel an Geld, der die Armut von heute ausmacht, sondern der Mangel an Teilhabe.

Die moderne Variante de des dt. Aufschwungs ist ein elitärer Aufschwung. Er findet ohne das untere Drittel statt.

Globalisierung wirkt als Katalysator für da Auseinanderdriften von Arm und Reich.
Beispiel: das feine Bankgewerbe:
Die Kapitalmarktexperten sitzen fast alle in London oder New York. Viele Berufseinsteiger unter ihnen kommen in guten Jahren auf eine halbe Million Euro Gehalt.
Der gehobene Banker in D verdient dagegen nur rund 120.000 €, 40 % mehr als vor 10 Jahren
Ein normaler Angestellter in der Filiale kommt etwa auf 50.000, sofern seinen Job noch in D gibt.
Denn der internationale Konkurrenzkampf hat im Bankgewerbe wie in anderen Branchen Tausende Arbeitsplätze ins Ausland gespült. So sitzen mittlerweise allein über 2000 Angestellte der Deutschen Bank in Indien, wo die Löhne teils nur 1/10 der hiesigen betrachten. Die Spesenabrechnungen werden in der Slowakei und Ungarn bearbeitet.

Drei Millionen Haushalte gelten als überschuldet. Sie sind nicht in der Lage, ihre Raten zu zahlen, ohne unter das Existenzminimum zu rutschen.
Die Zahl der Menschen, die von Hartz IV betroffen sind, ist auf sieben Millionen gestiegen – fast 10% der Bevölkerung.
Inflationsbereinigt sank das Haushaltseinkommen seit 1991 um 2 %.

Die Grenze zum Prekariat liegt bei einem Monatseinkommen von 856 € für Alleinstehende bzw. 1789 € für eine Familie mit zwei Kindern. Jeder Achte liegt unter dieser Grenze.

Dass Manager pro Tag soviel verdienen, wie ihre Angestellten im ganzen Jahr nach Hause bringen, war in den 60ern und 70ern Jahren unvorstellbar.

Bildungschancen werden vererbt.
Kinder von Eltern mit hohem sozialen Status habe eine 2,7fach größere Chance, ein Gymnasium zu besuchen, als Kinder von Facharbeitern. Die Wahrscheinlichkeit, ein Studium aufzunehmen, ist bei Gutverdienerkindern sogar um das 7,4fache höher.

Die Lösung liegt nur zwei Flugstunden entfernt: in Finnland.
Sie kürzten die Sozialleistungen und stärkten im Gegenzug die öffentlichen Investitionen.
Sie investierten in jene Infrastruktur, die jeder Mensch für seinen persönlichen Aufstieg benötigt: Betreuungs- und Bildungseinrichtungen.
Um 30% kürzten die Finnen das Sozialbudget. Zudem stoppten sie sämtliche Frühverrentungsprogramme.
DS 50/2006

Die wahre Unterschicht

Der Aufschwung ist da – doch die Masse der Arbeitnehmer hat davon wenig. Daran wird auch die kommende Tarifrunde kaum etwas ändern. Die Globalisierung drückt weiter auf die Löhne, und die abhängigen Beschäftigten müssen den ausufernden Sozialstaat weitgehend allein finanzieren.
Fast sieben Millionen Deutsche gelten als Niedriglöhner, ihr Einkommen beträgt weniger als 2/3 des Lohnmittelwerts.
Die abhängig Beschäftigten werden in die Zange genommen: Zum einen drückt die Konkurrenz billiger Arbeitermassen aus Osteuropa oder Asien die Löhne ganzer Branchen und Berufsgruppen mitunter auf Hartz-IV-Niveau herunter. Zum anderen fordert der vielfach fehlkonstruierte Sozialstaat ausgerechnet den Arbeitnehmern die größten Opfer ab.
Eine partiell rechtsfreie Wildwest-Ökonomie.
Im vergangenen Jahr haben sich die Gehälter der Konzernvorstände in den 30 größten Aktiengesellschaften um bis zu 20% erhöht. Im vergangenen Jahrzenht haben sich die Chefgehälter sogar verdreifacht.
Unter der narkotisierenden Wirkung günstiger Konjunkturdaten hat die Große Koalition die Arbeiten auf der Reformbaustelle D weitgehend eingestellt.
Warum Neues wagen, wenn der Status quo bei Wirtschaft und Verbrauchern doch viel beliebter ist?
Heute fordern die Vorstände Managergehälter wie in Amerika, aber die Arbeitnehmer sollen sich an Löhnen wie in China orientieren.
Sollen die Löhne das Arbeitsergebnis korrekt wiederspiegeln, müssen sie etwa im selben Umfang wachsen wie Preise und Produktivität der Wirtschaft. Steigen die Löhne zu rasch, könnten Arbeitsplätze gefährdet werden. Legen Sie mit geringerer Rate zu, fahren die Firmen Extragewinne ein. Oder sie verbessern ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Nach dieser Formel wäre im vergangenen Jahrzehnt ein Verdienstplus von jährlich 2,5 % wirtschaftlich vertretbar gewesen. Tatsächlich aber sanken die realen Nettoverdienste pro Arbeitnehmer im Schnitt um 0,5 % pro Jahr. Die Differenz strichen Arbeitgeber und der Staat ein.
Legten in den vergangenen 15 Jahren die Bruttolöhne um 0,1 % pro Jahr zu. Die Nettolöhne dagegen gingen um 0,4% zurück. Die Differenz dient vor allem dazu, das wachsende Heer der Ruheständler und Transferempfänger zu versorgen.
Auch auf der anderen Seite der Sozialstaatsbilanz, bei den Einnahmen, werden die abhängig Beschäftigten wie Bürger zweiter Klasse behandelt.
So müssen Arbeitnehmer in der Spitze bis zu 47% ihres Einkommens versteuern. Immobilienbesitzern hat der Staat erhebliche Steuervorteile eingeräumt, Aktienverkäufe gänzlich steuerfrei, wenn Wertpapiere erst 12 Monate nach dem Kauf weiterveräußert werden, auch das Erben steuerbegünstigt.
Unterschiedliche Beteiligung an den Kosten und Leistungen des Gemeinwesens schlägt auf die privaten Haushaltsbudgets durch. So führen Arbeitnehmer jedes Jahr rund 6700 € an die staatliche Umverteilungsmaschine ab. Bei den im Schnitt deutlich wohlhabenderen Selbständigen nur rund 4700 €.
Abhängig Beschäftigte arbeiten zu 26% für den Staat, Selbständigen nur zu 15%.
1986 lagen die Einkünfte von Unternehmerfamilien, Freiberuflern oder Beratern knapp 40% über dem Durchschnitt, heute sind es knapp 50%.
Wer arbeitet ist der Dumme – es sei denn er arbeitet auf eigene Rechnung. Seit 1991 ist der Anteil der Selbständigen an der Erwerbsbevölkerung von 8 auf 11 % gestiegen. Weil der Kreis der Einzahler in die Sozialkassen gesunken ist, müssen diejenigen umso mehr bluten, die noch drin sind.
Die Bundesrepublik ist nach Belgien das Industrieland mit der höchsten Sozialbeitragslast auf den Faktor Arbeit.
Eichels angebliches Jahrhundertprojekt 2001 zur fiskalischen Entlastung der Bürger hat auf Druck der Industrie nicht die Sozialbeiträge sondern die Steuern gesenkt.
Als Wolfgang Clement die Misere der Langzeitarbeislose mit der „Mutter aller Reformen“ bekämpfen wollte, baute er vor allem die Minijob-Förderung aus. Es war die mit Abstand arbeitsmarktschädlichste Fehlkalkulation in der an Fehlkalkulationen reichen Hartz-Gesetzgebung.
Was zu tun wäre, um die dt. Krankheit zu bekämpfen ist seit langem bekannt:
Ein allg. Mindestlohn, der bei 40 St. Die Woche das Existenzminimum abdeckt. Viel höher darf er allerdings auch nicht sein. Sonst rechnen sich viele Jobs nicht mehr.
Die Sozialabgaben müssen sinken, damit die Unternehmen wieder mehr Jobs im Inland schaffen. Geringqualifizierte Stellen müssen mit staatlichen Lohnzuschüssen attraktiv gemacht werden.
DS 14/2007

Die Legende vom grossen Unterschied zwischen Mann und Frau

DER SPIEGEL:

Das gleiche Geschlecht: Dirigiert die Steinzeitbiologie heute noch den Mann auf den Mars und die Frau auf die Venus? Neuroforscher suchen nach dem großen Unterschied – und können ihn nicht finden.
Die geringe Größe des Frauenhirn.
Die Psyche einer Aldi-Plastiktüte im Vergleich zu einer Männerseele unheimlich kompliziert.
20.000 Wörter täglich quassele die Frau, der Mann begnüge sich mit nur 7000. Dafür dächten Frauen nur einmal pro Woche an Sex, Männer aber alle 58 Sekunden.
Homo testosteroniensis und homo östrogeniensis
Männer werfen die Darts ins Schwarze, weil sie das in Jahrtausenden ihres Jobs als fleischbeschaffende Mammutjäger trainiert haben, bis es festsaß in ihren Genen. Daher auch die>Wortkargheit – schwatzenden Speerträgern entwicht die Beute. Der paläolithische Weiberclub dagegen sammelte Wurzeln und fragile Beeren – die Damen erwarben das Fingerspitzengefühl, das sie heute noch zum Häkeln und Zwiebelwürfeln befähigt.
Simone die Beauvoir: „Was ist eine Frau?“
Dort, wo sich Andersartigkeit messen lässt, spielt sie entweder keine rolle für den Lebenslalltag oder ist unbedeutend klein.
„Wir kommen mit einer zartrosa und hellblauen Tönung auf die Welt, erst unsere Erfahrungen, die Kultur, in der wir leben, vertiefen sie dann zu satten Farben.“
Wackelt das gesamte Theoriegebäude, das die These vom großen Unterscheid auf die Steinzeitfamilie stützen soll. Denn die Haushaltsführung in paläolithischen Höllen ist vor allem - Spekulation.
Wie mächtig der Alltag Form und Funktion des Gehirns beeinflusst. Verblüffend leicht vermag sich das menschliche Denkorgan umzumodeln. So lässt sich an der Größe einer bestimmten Hirnregion von Taxifahrern ablesen, wie viel Lebenszeit sie damit verbracht haben, durch die Stadt zu kutschieren.
Reagieren Eltern, egal ob Vater oder Mutter, zugewandter auf fremde Kinder, wenn sie gerade selbst welche großpäppeln. Will heißen: Das Gehirn bekommt den Mutterkick durchs Muttersein, den Vaterkick durchs Vatersein.
Probandinnen sollten Mathematikaufgaben lösen. Ein Teil von ihnen bekam zuvor einen Text vorgelegt, in dem behauptet wurde, Frauen litten unter einer angeborenen Mathe-Schwäche. Prompt rechneten sie deutlich schlechter als die Geschlechtsgenossinen, die nichts dergleichen gelesen hatten.
DS 05.02.2007

Die große Geldvernichtung

Die Hartz-IV-Gesetze der rot-grünen Jahre zeigen ihre grotesken Auswirkungen – als Beschäftigungsprogramm an Sozialgerichten. Echte und scheinbare Arme sorgen dort für die wohl größte Prozessflut der bundesdeutschen Geschichte.
100.000 die vom „Kunden“ zum Prozessgegner wurden.
Das Personal in den Jobcentern ist oft im Schnellverfahren ausgebildet worden.
Tausende, die früher bei der Post, Bahn, Telekom oder auch beim Zoll arbeiteten, wurden abbeordert. „Amtshilfe“ nannte man das.
Ein Sozialverfahren kann ohne Anwalt stattfinden und ist dann für den ALG-II-Empfänger kostenlos.
Entdiskriminierung einer Sozialleistung
Eine Art Mindestausstattung des Wohlfahrtsstaats
In einem schmalen Budget schlagen schon geringe Summen zu Buche.
„Eheähnliche Gemeinschaft“: wenn zwei Erwachsene so leben, dass man daraus schließen darf, sie wollten füreinander einstehen, dann bekommen sie insgesamt weniger Hartz IV.
Die „Bedarfsgemeinschaft“ ist ein Konstrukt, für das Juristen den Grad der Zuneigung zwischen zwei Menschen in eine Anspruchshöhe übersetzen müssen.
Sogar die Verwaltungsangestellten den Arbeitslosen zu einem Eilverfahren raten, wenn sie selbst nicht mehr durchblicken. „Die Sachbearbeitung beginnt dann praktisch vor Gericht“, heißt es in einem internen Schreiben der Berliner Justizverwaltung.
Gerichtssäle werden an vielen Orten zu einer Art Volkshochschule in Sachen Hartz IV.
Der Spiegel

Der Vergoldete Käfig

Der Spiegel 26.02.2007
Wie der Staat die Frauen vom Beruf fernhält – und trotzdem nicht mehr Kinder geboren werden

Elterngeld
Jedes dritte Kind lebt nicht in einer klassischen Familie
Familie ist, wo man ohne zu fragen zum Kühlschrank gehen kann, wenn man Durst hat
Die Pille hat die Frauen „zu den wahren Torhütern der Natur gemacht“
Die klassische bürgerliche Familie ist eine Erfindung des Industriezeitalters. Erst mit der Industrialisierung trennten sich Arbeitsplatz und Wohnort: Die Männer gingen in die Fabrik oder ins Büro, die Frauen blieben zu Hause. Schon damals: Arbeiterfamilien konnten es sich meist gar nicht leisten, dass die Frau zu Hause blieb, und viele Bürgerfrauen empfanden ihre Rolle als zu eng.
Wo mehr Frauen arbeiten, wo mehr Scheidungen gezählt werden und der Grad der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen als hoch bewertet wird – ebendort ist die Fruchtbarkeit vergleichsweise groß: 1,8 Kinder pro Frau in Schweden, Finnland, Dänemark. Frankreich hat 2006 den Wert 2,1 erreicht.
Wo Frauen keine Angst haben müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und in Abhängigkeit von ihrem Man zu geraten, wo sie nicht fürchten müssen, aus einer verunglückten Partnerschaft keinen Ausweg zu finden.

Die Familie wird wieder zum heilen Hafen idealisiert, die traditionelle Familie erschein t als Wunschbild in unübersichtlicher Zeit. Die moderne Welt ist kalt und globalisiert und hat ihren Bewohnern Regeln und Sicherheiten genommen, also wächst die Sehnsucht nach Ordnung und Einfachheit, einer Zuflucht, einem Gegenmodell.
„Meine Frau muss nicht arbeiten“, das war die Haltung der Männer in bürgerlichen Kreisen.

Postfamilialen Familien: die modernen Menschen müssen selbst wissen, ob sie zusammenziehen oder nicht, ob Hochzeit oder nicht, Scheidung oder nicht, ob Kinder, wann und wie viele, mit wem und warum. Ob beide arbeiten, wie viel sie arbeiten und wohin mit der Oma, wenn sie dement ist.
Früher war die Fürsorge der Männer im Wesentlichen ökonomisch geprägt, sie brachten genügend Geld nach Hause und zeigten Frau und Kindern auf diese Weise, was sie ihnen wert waren. Nun sind die Männer in der Rolle. Ihre Fürsorge für Frau und Kindern neu definieren zu müssen.

Eine Frage der Ökonomie, nicht der Ideologie: Die Studentenunruhen und die Emanzipationsbewegung haben einen Wertewandel bewirkt, der den gesellschaftlichen Prozess beschleunigt hat. Aber die Versorgerehe hätte sich ohnehin nicht erhalten lassen, weil die ökonomische Basis für dieses Modell verschwunden ist.
Die Familien konnten sich nicht länger in Sicherheit wiegen, dass der Mann seine Arbeit ein Leben lang behält, dass sein Lohn auf Dauer reicht, um alle zu ernähren.
Jeder Frau in einem Paarhaushalt mit Kindern unter zwölf Jahren geht nicht arbeiten. Aber nur sechs Prozent sagt: ich habe es so gewollt.
Familie kann größte Nähe bedeuten und größte Not. Kann Gewalt bedeuten oder Vernachlässigung.
Art. 6 GG: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Aber auch „über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“.

· Rushhour des Lebens: Der heutige Lebenszyklus: in der Jugend wird gelernt, dann wird gearbeitet, und im Alter erholt man sich. So stauch in der Mitte des Lebens alles: die Karriere, das Familienleben und womöglich auch die Fürsorge für die eigenen Eltern – Rushhour des Lebens sind diese überfordernden Jahre zwischen dreißig und Mitte vierzig.
„Lebenslaufregelung“, ein Modell aus Holland: Mitten im Leben erlaubt man sich Auszeiten, kümmert sich um die Erziehung seiner Kinder, die Pflege der Eltern oder unternimmt eine Reise um die Welt.
In D, Diskrepanz zwischen Kinderwunsch (1,8) und Wirklichkeit (1,3).
Es ist nicht die von U. Beck beschriebene „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“, die viele Väter davon abhält, „neue Väter“ zu sein, es ist verbale Aufgeschlossenheit bei gefühlter prekärer Arbeitsmarktlage.

FRANKREICH
Vier Fünftel der französischen Frauen zwischen 25 und 49 auf dem Arbeitsmarkt vertreten.
Kinderkrippen und eine kostenlose Vorschule für Kinder ab drei Jahren, später Ganztagsschulen, von der Einschulung bis zum Abitur.
Das Steuersystem basiert auf einem Schlüssel, die die Steuerlast nach Anzahl der Familienmitglieder berechnet. Das dritte Kind stellt dabei viele Familien weitgehend steuerfrei.
Die seit Jahrzehnten gewachsene, tiefe und in allen Gesellschaftsschichten verankerte Überzeugung, dass ein Kind nicht ständig bei der Mutter sein muss.
Der Spiegel 26.02.2007

Aufbruch der Barbaren

Eine Spektakuläre Beutekunst-Ausstellung in Moskau zeigt erstmals den Goldschmuck der Merowinger – jener fränkischen Könige, die an der Schwelle von der Antike zum Mittelalter den Kontinent beherrschten. Die einzigartigen Altertümer stammen aus den „dunklen Jahrhunderten“, als die Germanen das Römische Recht zerschlugen.
Die Merowingerzeit ist die fundärmste Epoche in der Geschichte Europas.
Zwischen 482 bis 714 d.c. beherrschten diese Germanenkönige (die Ihre Herkunft von einem an der Rheinmündung hausenden Meeresungeheuer ableiteten) weite Teile des Kontinents.
Hierzulande werden die einzigartigen Prunkstücke nie zu sehen sein. Die deutsche Polizei wäre gehalten, die völkerrechtswidrig entwendeten Funde sofort zu beschlagnahmen. Nach der Haager Landkriegsverordnung von 1907, die es verbietet, im Krieg kulturelle Beute zu machen.
Die Zeit zwischen 450 und 750 nach Christus steckt voller ungelöster Fragen.
Warum trat das römische Imperium ab? 540 000 Legionäre hielt das Reich in der Spätantike unter Waffen.
Nach genau 1229 Jahren war es mit Roms Ewigkeit vorbei.
Der Zeitpunkt des Untergangs wird auf den 4. September 476 d.c. gelegt.
Ende des 5. Jahrhunderts war das Imperium bankrott.
„Persistent hammering“, nennt die US-Forschung jene ständigen Attacken, Nadelstiche und Überfälle, mit denen die Germanen weiter am Limes rüttelten. 548 km weit verlief der Grenzwall quer durch das spätere Deutschland. Es war ein hoher Palisadenzaun gespickt mit 900 Wachtürmen, die über ein Signalsystem aus Rauchzeichen und Blasinstrumenten verbunden waren.
410 drangen die Westgoten erstmals bis nach Rom vor.
Die Völkerflut, dieses paneuropäische Stoßen und Brechen, als das Altertum versank und Millionen Gierige und Verzweifelte auf den Beinen waren.
Weil unsere Vorfahren nur Runen ritzten, verzerrte sich alles zur Legende.
Der Wanderzug der Vandalen: von der Oder kommend, hatte dieser Stamm mit 80 Tausendschaften die Meerenge von Gibraltar überwunden, von wo aus er 439 nach Christus Karthago erstürmte. Wie konnte solch ein gigantisches kombiniertes See- und Landunternehmen gelingen?
Die „dark ages“
Die Franken spielten beim Untergang Roms eine zentrale Rolle. Trotz der engen Nachbarschaft sperrten sie sich gegen die Assimilierung. Dann schlugen sie zu.
Die germanischen Stämme besaßen ein – wenn auch lockeres – Wir-Gefühl und beriefen sich laut Tacitus sogar auf einen gemeinsamen biologischen Urahnen, den Urvater „Mannus“. Ihre Mundarten ähnelten sich, ebenso die Häuser und die Rechtsbräuche. „Feiglinge und Unzüchtige“ (Tacitus) versenkten sie im Sumpf. Moorleichen fand man von Holland bis hoch nach Schweden.
Innerhalb weniger Jahrhunderte gelang es den rückständigen und noch dem Schamanentum verhafteten Bewohner Nordeuropas, sich von agrarisch geprägten Erbsenpullern zu militärisch gestählten Weltherrschern aufzuschwingen..
Karl Marx: Gegen die brutale Klassengesellschaft des römischen Imperiums mit seinem Sklavensystem habe sich das freie germanische Bauerntum gestellt. Die Cäsaren seien unter die Räder des Fortschritts geraten.
Richtig ist: Die fränkischen Erben der Antike lebten von der Substanz wie weiland Erich Honecker und die DDR.
Ihren Schmuck ließen sie aus Ostrom herbeischaffen oder von gallorömischen Handwerkern herstellen.
Faul quartierten sich die Eroberer in den mächtigen Ruinen Roms ein. Als die endgültig zerfielen, zogen sie – überspitzt formuliert – wieder ins Zelt um.
Im römischen Köln lebten etwa 25 000 Menschen, nach dem Kollaps hätten dort nur noch „einige hundert Franken in Holzbauten und Grubenhäusern“ gewohnt.
Wirtschaftlich: Gewaltige Domänen und Latifundien zogen sich einst durch die Nordprovinzen. Großgrundbesitzer bauten dort mit Sklavenarbeit Wein und Getreide an. Als die Franken das Gebiet eroberten, streuten sie Gerste in kleinparzellierte Äcker. Die antiken LPG verfielen.
Fiskalisch: Um 670 d.c. stellte Europa die Prägung von Goldmünzen ein (Rückkehr zur Tauschwirtschaft).
Bildung: um 500 d.c. schlossen in Gallien die letzten Schulen für Grammatik (vergleichbar der modernen Grundschulen) und Rhetorik (Gymnasium).
Um die enormen Umbrüche der Zeit richtig zu erfassen, darf nicht vergessen werden, dass der spätantike Weltstaat Rom bereits weitgehend christianisiert war. Immer mehr Staatsdiener, vor allem aus den gebildeten Schichten, wechselten in die Obhut der Kirche. Bis an die Grenze zum germanischen Urwald erhoben sich die Kreuze.
Bei den Barbaren stieß der Jesus-Glaube, die Religion der Nächstenliebe, anfangs auf Unverständnis. Ihr Pantheon bestand aus dunklen Schicksalsmächten.
Ein ungeheurer Strudel der Gewalt entstand damals. Jeder Stamm sei „durch und durch militarisiert“ worden, er wurde selbst zu einer Armee.
Die Franken waren es, die den Römern den Todesstoß versetzten. Anders als die Reiche der Westgoten, Burgunden oder Vandalen, die kaum erschaffen, wieder zu Staub zerfielen, hatte ihr neues Machtgebilde Bestand. Es war die Keimzelle zweier Nationen: Frankreich und Deutschland.
Geographische Wurzeln der Franken: die seltsame Ethnie (die der Stadt Frankfurt ebenso den Namen gab wie den Franzosen oder der bayerischen Landschaft Franken) lebte ursprünglich am östlichen Ufer des Niederrheins.
Bereits Cäsar hatte um 50 a.c. den Strom überschritten und germanischen Boden betreten. „Neun Monate Winter und kein Sommer“, murrte er, als er das miserable Klima erlebte, und zog wieder ab.
Zu der Zeit lebten in dem Gebiet mehrere Kleinstämme. Das Anrücken der kulturellen Supermacht Roms stieß im nordischen Dickicht bis zum Rheinufer offenbar eine fulminante Ethnogenese. Es bildeten sich Großstämme. Die in Weilern und Dörfern verstreut lebenden Sippen stellten ihre wehrfähigen Männer ab, die Lust auf Abenteuer hatten. Diese verbanden sich zu regionalen Großorden und unterstellten sich einem Führer. So entstand eine Art Guerilla, eine Urwald-Armee. Die Schlagkraft der Feinde war damit deutlich erhöht. Die Sachsen benannten sich nach einem einschneidigen Haumesser; dem „Sachs“. Die Alemannen waren einfach alle kriegstüchtigen Männer. Im Begriff Franke steckt das germanische Wort preg, was frech, kühn, frei bedeutet.
Die so gebildeten größeren Aktionseinheiten hatten ein klares Ziel. Sie wollten Beute machen. Jenseits des Limes lag ein Paradies.
Im Jahre 258 d.c. wagten die Franken den Angriff. Geschwächt durch innenpolitischen Zwist und einen Teilabzug der Legionen, lag Roms nördliche Flanke frei. Den Barbaren gelang der Durchbruch. Noch aber griff die pax romana. Ganze Germanendörfer wurden nach Gallien deportiert. Zugleich spielte Rom die diplomatische Geige. Den nordischen Häuptlinge wurden Jobs beim Militär angeboten. Ihre Truppenführer erhielten Zugang zu hohen Kommandostellen.
Im 4. Jh. Dienten Franken in der gallischen Elite-Armee. Kurz vor dem Kollaps Roms waren sie in Generalstränge aufgestiegen und sogar Oberbefehlshaber des Reichsheers. Rom erschlaffte, es war müde geworden. Das Kämpfen überließ man gern anderen.
Der Plan, Pufferzonen zu bilden und Grenzreservate, gefüllt mit „Föderaten“, ging nicht auf. Die in Sold genommenen fränkischen Soldaten hielten engen Kontakt zu ihren Brüdern von jenseits des Rheins.
355 d.c. gelang es den Franken erstmals, die befestigte Stadtmauer von Köln zu erklimmen.
Die Angriffe gehen auf eine „missglückte Einbürgerung der Germanen“ zurück.
Die desolate Lage im 4. und 5. Jh. Hat aber auch demographische Gründe. Während Rom bereits Geburtenkontrolle aus Schweinedarm betrieb, vermehrten sich die Fremden von jenseits des Rheins stetig.“ Gebärmutter der Völker“ wurde der Norden genannt. Der Limes wirkte wie ein künstlicher Riegel, vor dem ein Bevölkerungsstau entstand.
Um 360 d.c. preschte erstmals ein ganzer Teilstamm über den Limes. Die vor Xanten siedelnden Salfranken drangen zur Schelde vor. Das römische Heer stoppte den Menschenpulk zwar. Doch wohin mit ihm? Man wies den Leuten Land in einem morastigen Gebiet in Südholland zu, Toxandrien genannt. In der Nähe wurde später Chlodwig geboren.
In einer kalten Silvesternacht 406 d.c., der Rhein war zugefroren, spazierten ganze über das Eis. Zu Zehntausenden drangen ostgermanische Vandalen und Sueben mit Ochsenkarren nach Westen vor. „Ganz Gallien rauchte als einziger Scheiterhaufen“, notierte ein Chronist.
Zwar versuchte die schwer angeschlagene Weltmacht, auch diese Stammes armeen noch zu bändigen. Man teilte ihnen Land und verpflichtete sie zum Militärdienst. Doch die ins Reich hineingebrandeten Großgruppen gehorchten nicht mehr richtig. Um 450 d.c. hatten sich in dem weiten Imperium germanische Machtzentren abgekapselt.
Als der Kaiser die Soldzahlungen fürs Militär einstellte, gingen auch die letzten Getreuen von der Fahne.
Eben noch Generäle in römischen Diensten, riefen sich die fränkischen Militärs nun zu Königen aus.
Das war die Stunde null in Europa. Das Mittelalter begann.
Der Kontinent war zum wüsten Machtvakuum verkommen, ein umgefallener Riese.
Chlodwig bediente sich am energischsten aus dieser Konkursmasse. Der Vater hatte noch als bezahlter Barbar von Roms Gnaden gedient, der Spross schwang sich nun selber zum Boss auf.
Mit Ochsenkarren drangen die Franken bis tief nach Gallien vor.
Zwischen 508 und 511 d.c. ließ Chlodwig die „Lex salica“ aufschreiben. Das fränkische Rechtsbuch diente vorrangig einem Zweck: Es wollte in Mordfällen verhindern, dass Blutfehden ausbrachen. Jeder Täter musste deshalb ein „Wergeld“ an die Hinterbliebenen zahlen.
Staffelung der Geldstrafen
Frönten die Merowingerkönige der Vielweiberei. Die so gezeugten Söhne waren allesamt erbberechtigt. Die Franken glaubten an die „Geblütsheiligkeit“ des eigenen Geschlechts. Also mordete die Sippe, um die Macht nicht zu zersplittern.
Erst die Karoliger, Karl der Große, stoppte den Verfall des Abendlandes.
Die Ressentiments der Deutschen lassen sich als narzisstische Kränkung erklären. Die germanischen Stämme, die bis nach Paris vorgestürmt waren, vergaßen am Ende ihre Verwandten vom Rhein.
Zum Schluss griff der Assimilierungsdruck der Bevölkerungsmehrheit in Gallien nämlich doch. In den Kontaktzonen gingen die Einwanderer im Laufe der Zeit eine kulturelle Synthese ein. Sie legten die rauen Bräuche ab.
Das gilt auch für die Mundart. Die Neueinsiedler sprachen anfangs Altfränkisch, die alten Einwohner Vulgärlatein. Innerhalb von 500 Jahren entstand so eine neue Sprache, das Altfranzösische. Mit diesem Schritt spaltete sich das Frankenvolk in Ost und West – und in zwei Zungen.
Der Spiegel

Montag, 14. Januar 2008

Zorn und Zeit

Zorn und Zeit
Weltgeschichte des Hasses
Sloterdijk zur politischen Macht des Furors


Die USA haben einen Krieg erklärt, der keinen bestimmten Gegner hat und deshalb kein mögliches Ende (außer dem nichterklärten Versanden).
Zufriedenheit der Gesättigten ./. den Zorn der Zurkurzgekommenen

„Den Zorn singe, Göttin des Peleussohns Achilles,
den unheilbringenden Zorn, der tausend Leid den Achäern
Schuf und viele stattliche Seelen zum Hades hinabstieß“
Homer, Illias

Homer war der Chronist einer „von einem glücklichen Bellizismus erfüllten Welt“ Eine Tat war gleichbedeutend mit einer Heldentat. Die Kämpfe der Heroen auf Leben und Tod sind Zeugnisse „für das Wertvollste, was die Sterblichen, damals wie später, erfahren können: dass eine Lichtung aus Nicht-Ohnmacht und Nicht-Gleichgültigkeit in das Dickicht der naturwüchsigen Gegebenheiten geschlagen worden ist“. Wo das Schicksal beherrscht ist von launischen Göttern und feindlicher Natur, ist Tapferkeit mehr als Tugend; sie ist Bedingung der Existenz und gibt dem Leben Sinn, indem sie es erhält.
Wir fühlen uns von dieser Welt, zu Recht, milchstraßenweit entfernt. Diese Ferne ist zum Teil eingebildet, zugunsten einer falschen Beruhigung.

Was für Heidegger die Seinsvergessenheit war, ist für Sloterdijk die Zornvergessenheit. Die archaische Macht der Empörung wirkt weiter in der Kultur, auch wenn diese ein milderes Menschenbild vorzieht: weg vom Furor der Erinnyen, der Rachlust der Medea, der Mordlust der Penthesilea, und hin zu einer Idealpersönlichkeit, die ihre Affekte beherrscht und regiert, statt zu deren Spielball zu werden.

Eros und Thmos teilen sich die menschliche Seele – das Prinzip der Liebe und das Prinzip der Leidenschaft. Zu der zählen: das Streben nach Geltung und Selbstbehauptung, Regungen wie Stolz und Ehrgefühl, Durst nach Gerechtigkeit und Rachedurst dort, wo sie fehlt.
Platon, der große Moderator, hat Staatsbürger aus den Wilden gemacht, ihren Furor zur Beherztheit domestiziert – was man so braucht, wenn man möglichst zivilisierte Männer zugleich kampffähig halten will. In seiner Nachfolge werden die Stoiker den Zorn für „unnatürlich“ erklären. Platon beginnt aber bereits die Abkehr von der archaischen Welt und den Beginn eines langen Wegs hin zu jenem „Ökosystem der Resignation“.

Der große Prozess der Aufklärung hat uns Westlichen erfolgreich das Mark aus den Knochen gezogen – wir sind gehorsame Tiere, dem Konsum und der Feigheit ergeben und mit dem entsprechenden Menschenbild kostümiert. Keine archaischen Streiter mehr.
Allerdings taucht das Verdrängte historisch wieder auf. Nicht in persönlicher Anarchie, sondern im „Zorngeschäft“. Geschäfte mit dem Zorn machen jene Institutionen – revolutionäre Bewegungen, Protestparteien, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften -, die dem Einzelnen seine Empörung abfordern, um sie zu verwalten und zu mehren; bis es genug ist für den endgültigen Schlag, das blutige Weltgericht.

Das Versprechen endgültiger Gerechtigkeit, das die Kirche auf das Jenseits verschob, den persönlichen Nimmerleinstag, verlegen die ersten Berufsrevolutionäre im 19. Jh. In eine neue Dimension. Jetzt ist es die irdische Zeit, in der die Entrechteten zu ihrem Recht kommen werden, und sie trägt einen pathetischen neuen Namen: Geschichte.
Lenin, Stalin und Mao sind die machtvollsten Vertreter eines neuen Klerus, der „Weltgeistlichen des Hasses“, für deren Wirken die „makellose Rücksichtslosigkeit“ der ersten Jakobiner nur ein bescheidenes Vorspiel war. Sie lenken die aufrührerischen Energien der Einzelnen, initiieren Aufruhr, wo er strategisch nötig ist, und predigen ansonsten Disziplin.


Die schauerliche Rede Himmlers vor seiner Mörderelite im Posener Schloss

Der Islamismus
Die Bildung eines Zornkolletkivs ist – wie am gesteuerten „Aufruhr“ um die Mohamed-Karikaturen zu sehen – in einem Tempo möglich, das vor zehn Jahren nicht undenkbar schien.
Gefühl einer historischen Zurücksetzung, das Bedürfnis nach Rache und eine Geringschätzung des Lebens, die das eigene einschließt.

Durch die neuen Medien ein Gruppengefühl inszenierbar, das von der lokalen Position des Einzelnen und der traditionellen Autorität der Korangelehrten ganz absieht: der Islamist in London ist seinem Bruder im Zorn in Bagdad näher als seinem chinesischen, englischen, indischen Nachbarn.

Wer dieses Buch gelesen hat, ist über die Vergangenheit klüger geworden. Und gedanklich besser gerüstet für das, was hoffentlich nicht geschieht (prophylaktisch statt prophezeiend).^
DS 38/2006

Michel Foucault: Die Wahrheit und die juristischen Formen

Der Mangel des akademischen Marxismus
Versucht herauszufinden, wie die ökonomischen Lebensbedingungen ihren Ausdruck und Reflex im Bewusstsein der Menschen finden können.
Unterstellt, das menschliche Subjekt, das Erkenntnissubjekt und auch die Formen der Erkenntnis seien ein für alle Mal vorgegeben, so dass die ökonomischen, sozialen und politischen Lebensbedingungen sich in diesem vorgegebenen Subjekt nur noch niederschlagen oder sich darin einprägen könnten.
Soziale Praktiken erzeugen neue Objekte und neue Subjekte
F möchte nun zeigen, dass soziale Praktiken Wissensbereiche erzeugen, die nicht nur neue Objekte, neue Konzepte, neue Techniken hervorbringen, sondern auch gänzlich neue Formen von Subjekten und Erkenntnissubjekten. Auch das Erkenntnissubjekt hat eine Geschichte; auch die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, also die Wahrheit, hat eine Geschichte.
F möchte:
I. zeigen, „wie im 19. Jh. ein bestimmtes Wissen über den Menschen aus den Praktiken der sozialen Kontrolle hervorgegangen ist. Dieses Wissen liess eine vollkommene neue Art von Erkenntnissubjekt entstehen. Die Geschichte der Wissensgebiete in ihrem Verhältnis zu den sozialen Praktiken, aber ohne den Primat eines ein für alle Mal vorgegeben Erkenntnisubjekts.
II. Diskursanalyse: die Diskursphänomene (alles, was man mit Sprache machen kann) nicht mehr nur unter sprachlichem Aspekt zu betrachten, sondern als Spiele, als games, als strategische Spiele aus Handlungen und Reaktionen, Fragen und Antworten, Beherrschungsversuchen und Ausweichmanövern, das heißt als Kampf.
Der Diskurs ist jenes regelmäßige Ensemble, das auf einer Ebene aus sprachlichen Phänomeme und auf einer anderen aus Polemik und Strategien besteht.
III. Neufassung der Theorie des Subjekts.
Vor zwei oder drei Jh. postulierte die westliche Phil. explizit oder implizit das Subjekt als die Grundlage oder den zentralen Kern jeglicher Erkenntnis, von dem her die Freiheit sich zeigte und sich entfaltete.
Es wäre interessant zu klären, wie sich im Laufe der Geschichte ein Subjekt konstituiert, das nicht ein für alle Mal gegeben ist, das nicht diesen Kern bildet, von dem aus die Wahrheit Einzug in die Geschichte hält, sondern ein Subjekt, das sich innerhalb der Geschichte konstituiert, über einen Diskurs im Sinne eines Ensembles von Strategien, die Teil der sozialen Praktiken sind.
Zwei Geschichten der Wahrheit:
1. Eine interne G der W
Die G der W auf der Basis der Wissenschaftsgeschichte
2. Eine externe G der W
Es gibt in der Gesellschaft Orte, an denen Wahrheit entsteht und gewisse Spielregeln festgelegt werden – Spielregeln, die best. Formen von Subjektivität, bestimmte Objektbereiche und bestimmte Arten von Wissen entstehen lassen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer anderen, externen Geschichte der Wahrheit.
Die juristischen Praktiken, also die Art und Weise, wie man über Schuld und Verantwortung unter den Menschen urteilte. Praktiken, die zwar geregelt, in der Geschichte aber auch ständig abgeändert wurden, scheinen eine der Formen zu sein, in denen unsere Gesellschaft Typen von Subjektivität definiert hat, Formen von Wissen und damit auch Beziehungen zwischen dem Menschen und der Wahrheit.
Die juristischen Formen und ihre Entwicklung im Strafrecht als Ursprung einer Reihe von Wahrheitsformen. Die so genannte „Enquete“ (Untersuchung) – wie sie die Philosophen des 15. bis 18. Jh durchführten, aber auch Geographen, Botaniker, Zoologen, Ökonomen – ist eine für unsere Gesellschaften recht typische Form von Wahrheit.
Wo hatte die Enquete ihren Ursprung?
Mitten im Mittelalter erscheint die E als Form der Wahrheitssuche im Gerichtsverfahren.
Um genau zu erfahren, wer was wann unter welchen Umständen getan hat, entwickelte das Abendland die komplexen Techniken der E, die anschließend auch in den Wissenschaften und in der phil. Reflexion eingesetzt werden konnten.
Im 19. Jh. entwickelte man auf der Basis juristischer, gerichtlicher und strafrechtlicher Probleme recht eigentümliche Untersuchungsformen: das Examen. Aus diesen Untersuchungsformen gingen Soziologie, Psychologie, Psychopathologie, Kriminologie und Psychoanalyse hervor.
Diese neuen Untersuchungsformen sind in unmittelbarem Zusammenhang mit spezifischen Formen politischer und sozialer Kontrolle entstanden, die mit der Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft am Ende des 19. Jh. aufkamen.
Nietzsche
Die methodologischen Überlegungen führen zu ihm.
Bei ihm findet man einen Diskurs, der eine historische Analyse der Entstehung des Subjekts und einer bestimmten Art von Wissen, ohne dabei die vorgängige Existenz eines Erkenntnissubjektes vorauszusetzen.
„In einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der ‚Weltgeschichte‘.“
Von Erfindung spricht Nietzsche, wenn er nicht Ursprung sagen will.
Erfindung der Religion
Erfindung der Poesie
Erfindung der Ideale
Die Erfindung ist einerseits ein Bruch, andererseits etwas, das einen kleinen, engstirnigen, uneingestandenen Anfang besitzt. Der Erhabenheit des Ursprungs ist daher nach guter historischer Methode die unsägliche Kleinheit dieser Fabrikationen, dieser Erfindungen entgegenzusetzen.
Die Erkenntnis ist erfunden worden = sie ist kein Bestandteil der menschlichen Natur, nicht der älteste Trieb des Menschen; sie ist nicht keimhaft in seinem Verhalten, seinen Strebungen und Trieben.
Die Erkenntnis ist das Ergebnis der Konfrontation und der Verbindung des Kampfes und des Kompromisses zwischen den Trieben. Weil die Triebe aufeinanderstoßen, miteinander kämpfen und schließlich zu einem Kompromiss gelangen entsteht etwas. Und dieses Etwas ist die Erkenntnis. Sie gleicht dem Funken zwischen zwei Schwertern, der ja auch selbst nicht aus Eisen ist.
Es gibt keine vorgängige Übereinstimmung oder Affinität zwischen der Erkenntnis und den zu erkennenden Dingen. Das ist der große Bruch mit der Tradition der abendländischen Philosophie. „Der Gesamtcharakter der Welt ist Chaos, nicht im Sinne einer fehlenden Notwendigkeit, sondern der fehlenden Ordnung, Gliederung, Form, Schönheit, Weisheit.“, die Welt versucht keineswegs, den Menschen nachzuahmen; sie kennt keinerlei Gesetz. Die Erkenntnis hat mit dieser Welt zu kämpfen. Für die Natur ist es keineswegs natürlich, erkannt zu werden. Erkenntnis kann den zu erkennenden Dingen nur Gewalt antun.

Mit Anstand auf die Welt

Weiß der Mensch von Natur aus Gut und Böse zu unterscheiden?
Juristen, Psychologen, Philosophen und Biologen sind einer Art Grammatik der Moral auf der Spur.

Die Umfrage:
Führerlos rast ein Zug auf die fünf Gleisarbeiter zu. Eine Möglichkeit, ihren sicheren Tod zu verhindern, wäre, den Zug in letzter Minute aufs andere Gleis zu leiten. Doch auch dort arbeitet ein Mensch, wenngleich nur ein einzelner. Ist es richtig, die Weiche umzustellen?
Was, wenn ein dicker Mann auf einer Brücke direkt über dem Bahndamm stünde? Sein schwerer Körper würde den heranrasenden Zug anhalten, die 5 Gleisarbeiter wären gerettet.
Die Weiche etwa würden die meisten betätigen. >Aber nur 15 % würden den Mann auf Gleis stoßen – und das, obwohl die Bilanz von Toten und Überlebenden dieselbe wäre.
Überall auf der Welt teilen Menschen offenbar gleiche Intuitionen von Werten wie Fairness, Verantwortung oder Dankbarkeit. Jemanden mit Absicht zu verletzen etwa gilt in allen Kulturen als viel schlimmer, als wenn dies ohne Absicht geschieht.
Nicht allein Religionen und Rechtssysteme, nicht allein Eltern und Lehrer bringen einem Menschen demnach Sitte und Anstand bei – er kommt schon mit einem Gespür dafür aus dem Geburtskanal.
Die Idee vom Moralsinn fußt auf Erkenntnissen Noam Chomskys. Der große Gelehrte behauptete, alle Sprachen dieser Welt folgten einem kleinen, aber grundlegenden Repertoire grammatischer Regeln. Dieses habe sich im Lauf der Evolution fest im menschlichen Gehirn verdrahtet. Und nur aufgrund dieser angeborenen Vorkenntnisse könne ein Kind überhaupt komplexe Sprachen lernen. Die Umwelt entscheide nur, ob dies dann Koreanisch oder etwa Norwegisch ist.

Eine angeborene „Universalgrammatik der Moral“.
Die in der aristotelischen Philosophie gängige Beschreibung des Menschen als animal rationale, als vernunftbestimmtes Tier, sei zu ergänzen: „er ist ebenso ein animal morale, ein moralbegabtes Wesen.“

Beide Gruppen des Gleisarbeiter-Dilemmas hielten es mehrheitlich für schlimmer, den dicken Mann vor den Zug zu stoßen, als die Weiche umzustellen. Die Forscher führen dies darauf zurück, dass es sich im einen Fall um einen „beabsichtigten“, im anderen nur um einen „vorausgesehenen“ Schaden handle.

Antonio Damasio deutet an, dass Patienten mit Schäden einer bestimmten Gehirnregion (Stirnlappen), nicht zu zögern scheinen, den dicken Mann vor den Zug zu stoßen, um die fünf Gleisarbeiter zu retten. Sie sehen nur den guten Zweck, nicht aber das schreckliche Mittel.

Dem angeborenen Moralsystem zufolge sind Aktionen schlimmer als Unterlassungen. Also erscheint es akzeptabler, einen unheilbar kranken Menschen an seinen Leiden sterben zu lassen, als ihn mit einer Überdosis Schmerzmittel zu töten.
Der Spiegel 51/2006

Donnerstag, 10. Januar 2008

Abgrund des Ichs und seine Veralltäglichung

Der Schrecken vor dem Abgrund des Ichs wird weggenommen durch das Bewußtsein, dass es sich dabei um gar nicht so viel anders als um Arthritis oder Sinus troubles handle. Dadurch verlieren die Konflikte das Drohende. Sie werden akzeptiert, keineswegs aber geheilt, sondern bloß in die Oberfläche des genormten Lebens als unumgängliches Bestandstück hineinmontiert.
Adorno, Minima Moralia, S. 111

maxima moralia

Was objektiv die Wahrheit sei, bleibt schwer genug auszumachen, aber im Umgang mit Menschen soll man sich davon nicht terrorisieren lassen.
Adorno, Minima Moralia, S. 119

Abschaffung des Unterschieds zwischen These und Argument

Nichts ist dem Intellektuellen, der zu leisten sich vornimmt, was früher Philosophie hieß, unangemesserner, als in der Diskussion, und fast möchte man sagen in der Beweisführung, Recht behalten zu wollen. Das Rechtbehaltenwollen selber (...) ist Ausdruck jenes Geistes von Selbsterhaltung, den aufzulösen das Anliegen von Philosophie gerade ausmacht. (...)Wen Philosophen aufs Gespräch sich einlassen (...), so sollten sie immer so reden, dass sie allemal unrecht behalten, aber auf einer Weise, die den Gegner der Unwahrheit überführt. Es käme darauf an Erkenntnisse zu haben, die nicht etwa absolut richtig, hieb- und stichfest sind - solche laufen unweigerlich auf die Tautologie hinaus - , sondern solche, denen genenüber die Frage nach der Richtighkeit sich selber richtet.
Adorno, Minima Moralia, S. 122

bad, good and worst

Where everything is bad
it must good
to know the worst
F. H. Bradley

Montag, 7. Januar 2008

Sprachenverlust

Chargaff
  • mit dem Tod der Mutter - mit dem Entschwinden der Mutter wäre richtiger (zur Erinnerung: Chargaff liess als er aus Nazi-Wien auswanderte die nachzufliehende Mutter dort zurück, die Mutter kam ihm niemals nach, das tausendjährige Reich hat hier wirklich 1000 Jahre gewährt) - ist ihm auch die (Mutter-)Sprache entschwunden.
Adorno:
  • "Jeder Intellektuelle in der Emigration (...) ist beschädigt. (...) Enteignet ist seine Sprache und abgegraben die geschichtliche Dimension, aus der seine Erkenntnis die Kräfte zog."

Mit dem Sprachenverlust geht die Sprachlosigkeit einher aber mit dem Erlernen der neuen Sprache geht nicht die Sprachlosigkeit von dannen (was auf keinstem Falle eine Aufforderung zum Schweigen bedeuten soll!).

Sprachlosigkeit

Meine Worte sind schneller als meine Gedanken. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass jene diese ausdrücken. Vielmehr laufen meine Gedanken meine Worte hinterher. Übrigens führt dies dazu, dass ich des öfteren sprachlos bin. Meine Gedanken sind nicht in der Lage meine Worte zu folgen und wenn die Entfernung zwischen beiden allzu groß wird verlieren sie den gemeinsamen Bezug. Die Worte bleiben dann still, weil ihnen das Futter ausgegangen ist, und die Gedanken staunen über die Stille.