Dienstag, 15. Januar 2008

Der Vergoldete Käfig

Der Spiegel 26.02.2007
Wie der Staat die Frauen vom Beruf fernhält – und trotzdem nicht mehr Kinder geboren werden

Elterngeld
Jedes dritte Kind lebt nicht in einer klassischen Familie
Familie ist, wo man ohne zu fragen zum Kühlschrank gehen kann, wenn man Durst hat
Die Pille hat die Frauen „zu den wahren Torhütern der Natur gemacht“
Die klassische bürgerliche Familie ist eine Erfindung des Industriezeitalters. Erst mit der Industrialisierung trennten sich Arbeitsplatz und Wohnort: Die Männer gingen in die Fabrik oder ins Büro, die Frauen blieben zu Hause. Schon damals: Arbeiterfamilien konnten es sich meist gar nicht leisten, dass die Frau zu Hause blieb, und viele Bürgerfrauen empfanden ihre Rolle als zu eng.
Wo mehr Frauen arbeiten, wo mehr Scheidungen gezählt werden und der Grad der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen als hoch bewertet wird – ebendort ist die Fruchtbarkeit vergleichsweise groß: 1,8 Kinder pro Frau in Schweden, Finnland, Dänemark. Frankreich hat 2006 den Wert 2,1 erreicht.
Wo Frauen keine Angst haben müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und in Abhängigkeit von ihrem Man zu geraten, wo sie nicht fürchten müssen, aus einer verunglückten Partnerschaft keinen Ausweg zu finden.

Die Familie wird wieder zum heilen Hafen idealisiert, die traditionelle Familie erschein t als Wunschbild in unübersichtlicher Zeit. Die moderne Welt ist kalt und globalisiert und hat ihren Bewohnern Regeln und Sicherheiten genommen, also wächst die Sehnsucht nach Ordnung und Einfachheit, einer Zuflucht, einem Gegenmodell.
„Meine Frau muss nicht arbeiten“, das war die Haltung der Männer in bürgerlichen Kreisen.

Postfamilialen Familien: die modernen Menschen müssen selbst wissen, ob sie zusammenziehen oder nicht, ob Hochzeit oder nicht, Scheidung oder nicht, ob Kinder, wann und wie viele, mit wem und warum. Ob beide arbeiten, wie viel sie arbeiten und wohin mit der Oma, wenn sie dement ist.
Früher war die Fürsorge der Männer im Wesentlichen ökonomisch geprägt, sie brachten genügend Geld nach Hause und zeigten Frau und Kindern auf diese Weise, was sie ihnen wert waren. Nun sind die Männer in der Rolle. Ihre Fürsorge für Frau und Kindern neu definieren zu müssen.

Eine Frage der Ökonomie, nicht der Ideologie: Die Studentenunruhen und die Emanzipationsbewegung haben einen Wertewandel bewirkt, der den gesellschaftlichen Prozess beschleunigt hat. Aber die Versorgerehe hätte sich ohnehin nicht erhalten lassen, weil die ökonomische Basis für dieses Modell verschwunden ist.
Die Familien konnten sich nicht länger in Sicherheit wiegen, dass der Mann seine Arbeit ein Leben lang behält, dass sein Lohn auf Dauer reicht, um alle zu ernähren.
Jeder Frau in einem Paarhaushalt mit Kindern unter zwölf Jahren geht nicht arbeiten. Aber nur sechs Prozent sagt: ich habe es so gewollt.
Familie kann größte Nähe bedeuten und größte Not. Kann Gewalt bedeuten oder Vernachlässigung.
Art. 6 GG: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Aber auch „über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“.

· Rushhour des Lebens: Der heutige Lebenszyklus: in der Jugend wird gelernt, dann wird gearbeitet, und im Alter erholt man sich. So stauch in der Mitte des Lebens alles: die Karriere, das Familienleben und womöglich auch die Fürsorge für die eigenen Eltern – Rushhour des Lebens sind diese überfordernden Jahre zwischen dreißig und Mitte vierzig.
„Lebenslaufregelung“, ein Modell aus Holland: Mitten im Leben erlaubt man sich Auszeiten, kümmert sich um die Erziehung seiner Kinder, die Pflege der Eltern oder unternimmt eine Reise um die Welt.
In D, Diskrepanz zwischen Kinderwunsch (1,8) und Wirklichkeit (1,3).
Es ist nicht die von U. Beck beschriebene „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“, die viele Väter davon abhält, „neue Väter“ zu sein, es ist verbale Aufgeschlossenheit bei gefühlter prekärer Arbeitsmarktlage.

FRANKREICH
Vier Fünftel der französischen Frauen zwischen 25 und 49 auf dem Arbeitsmarkt vertreten.
Kinderkrippen und eine kostenlose Vorschule für Kinder ab drei Jahren, später Ganztagsschulen, von der Einschulung bis zum Abitur.
Das Steuersystem basiert auf einem Schlüssel, die die Steuerlast nach Anzahl der Familienmitglieder berechnet. Das dritte Kind stellt dabei viele Familien weitgehend steuerfrei.
Die seit Jahrzehnten gewachsene, tiefe und in allen Gesellschaftsschichten verankerte Überzeugung, dass ein Kind nicht ständig bei der Mutter sein muss.
Der Spiegel 26.02.2007

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