Dienstag, 15. Januar 2008

Aufbruch der Barbaren

Eine Spektakuläre Beutekunst-Ausstellung in Moskau zeigt erstmals den Goldschmuck der Merowinger – jener fränkischen Könige, die an der Schwelle von der Antike zum Mittelalter den Kontinent beherrschten. Die einzigartigen Altertümer stammen aus den „dunklen Jahrhunderten“, als die Germanen das Römische Recht zerschlugen.
Die Merowingerzeit ist die fundärmste Epoche in der Geschichte Europas.
Zwischen 482 bis 714 d.c. beherrschten diese Germanenkönige (die Ihre Herkunft von einem an der Rheinmündung hausenden Meeresungeheuer ableiteten) weite Teile des Kontinents.
Hierzulande werden die einzigartigen Prunkstücke nie zu sehen sein. Die deutsche Polizei wäre gehalten, die völkerrechtswidrig entwendeten Funde sofort zu beschlagnahmen. Nach der Haager Landkriegsverordnung von 1907, die es verbietet, im Krieg kulturelle Beute zu machen.
Die Zeit zwischen 450 und 750 nach Christus steckt voller ungelöster Fragen.
Warum trat das römische Imperium ab? 540 000 Legionäre hielt das Reich in der Spätantike unter Waffen.
Nach genau 1229 Jahren war es mit Roms Ewigkeit vorbei.
Der Zeitpunkt des Untergangs wird auf den 4. September 476 d.c. gelegt.
Ende des 5. Jahrhunderts war das Imperium bankrott.
„Persistent hammering“, nennt die US-Forschung jene ständigen Attacken, Nadelstiche und Überfälle, mit denen die Germanen weiter am Limes rüttelten. 548 km weit verlief der Grenzwall quer durch das spätere Deutschland. Es war ein hoher Palisadenzaun gespickt mit 900 Wachtürmen, die über ein Signalsystem aus Rauchzeichen und Blasinstrumenten verbunden waren.
410 drangen die Westgoten erstmals bis nach Rom vor.
Die Völkerflut, dieses paneuropäische Stoßen und Brechen, als das Altertum versank und Millionen Gierige und Verzweifelte auf den Beinen waren.
Weil unsere Vorfahren nur Runen ritzten, verzerrte sich alles zur Legende.
Der Wanderzug der Vandalen: von der Oder kommend, hatte dieser Stamm mit 80 Tausendschaften die Meerenge von Gibraltar überwunden, von wo aus er 439 nach Christus Karthago erstürmte. Wie konnte solch ein gigantisches kombiniertes See- und Landunternehmen gelingen?
Die „dark ages“
Die Franken spielten beim Untergang Roms eine zentrale Rolle. Trotz der engen Nachbarschaft sperrten sie sich gegen die Assimilierung. Dann schlugen sie zu.
Die germanischen Stämme besaßen ein – wenn auch lockeres – Wir-Gefühl und beriefen sich laut Tacitus sogar auf einen gemeinsamen biologischen Urahnen, den Urvater „Mannus“. Ihre Mundarten ähnelten sich, ebenso die Häuser und die Rechtsbräuche. „Feiglinge und Unzüchtige“ (Tacitus) versenkten sie im Sumpf. Moorleichen fand man von Holland bis hoch nach Schweden.
Innerhalb weniger Jahrhunderte gelang es den rückständigen und noch dem Schamanentum verhafteten Bewohner Nordeuropas, sich von agrarisch geprägten Erbsenpullern zu militärisch gestählten Weltherrschern aufzuschwingen..
Karl Marx: Gegen die brutale Klassengesellschaft des römischen Imperiums mit seinem Sklavensystem habe sich das freie germanische Bauerntum gestellt. Die Cäsaren seien unter die Räder des Fortschritts geraten.
Richtig ist: Die fränkischen Erben der Antike lebten von der Substanz wie weiland Erich Honecker und die DDR.
Ihren Schmuck ließen sie aus Ostrom herbeischaffen oder von gallorömischen Handwerkern herstellen.
Faul quartierten sich die Eroberer in den mächtigen Ruinen Roms ein. Als die endgültig zerfielen, zogen sie – überspitzt formuliert – wieder ins Zelt um.
Im römischen Köln lebten etwa 25 000 Menschen, nach dem Kollaps hätten dort nur noch „einige hundert Franken in Holzbauten und Grubenhäusern“ gewohnt.
Wirtschaftlich: Gewaltige Domänen und Latifundien zogen sich einst durch die Nordprovinzen. Großgrundbesitzer bauten dort mit Sklavenarbeit Wein und Getreide an. Als die Franken das Gebiet eroberten, streuten sie Gerste in kleinparzellierte Äcker. Die antiken LPG verfielen.
Fiskalisch: Um 670 d.c. stellte Europa die Prägung von Goldmünzen ein (Rückkehr zur Tauschwirtschaft).
Bildung: um 500 d.c. schlossen in Gallien die letzten Schulen für Grammatik (vergleichbar der modernen Grundschulen) und Rhetorik (Gymnasium).
Um die enormen Umbrüche der Zeit richtig zu erfassen, darf nicht vergessen werden, dass der spätantike Weltstaat Rom bereits weitgehend christianisiert war. Immer mehr Staatsdiener, vor allem aus den gebildeten Schichten, wechselten in die Obhut der Kirche. Bis an die Grenze zum germanischen Urwald erhoben sich die Kreuze.
Bei den Barbaren stieß der Jesus-Glaube, die Religion der Nächstenliebe, anfangs auf Unverständnis. Ihr Pantheon bestand aus dunklen Schicksalsmächten.
Ein ungeheurer Strudel der Gewalt entstand damals. Jeder Stamm sei „durch und durch militarisiert“ worden, er wurde selbst zu einer Armee.
Die Franken waren es, die den Römern den Todesstoß versetzten. Anders als die Reiche der Westgoten, Burgunden oder Vandalen, die kaum erschaffen, wieder zu Staub zerfielen, hatte ihr neues Machtgebilde Bestand. Es war die Keimzelle zweier Nationen: Frankreich und Deutschland.
Geographische Wurzeln der Franken: die seltsame Ethnie (die der Stadt Frankfurt ebenso den Namen gab wie den Franzosen oder der bayerischen Landschaft Franken) lebte ursprünglich am östlichen Ufer des Niederrheins.
Bereits Cäsar hatte um 50 a.c. den Strom überschritten und germanischen Boden betreten. „Neun Monate Winter und kein Sommer“, murrte er, als er das miserable Klima erlebte, und zog wieder ab.
Zu der Zeit lebten in dem Gebiet mehrere Kleinstämme. Das Anrücken der kulturellen Supermacht Roms stieß im nordischen Dickicht bis zum Rheinufer offenbar eine fulminante Ethnogenese. Es bildeten sich Großstämme. Die in Weilern und Dörfern verstreut lebenden Sippen stellten ihre wehrfähigen Männer ab, die Lust auf Abenteuer hatten. Diese verbanden sich zu regionalen Großorden und unterstellten sich einem Führer. So entstand eine Art Guerilla, eine Urwald-Armee. Die Schlagkraft der Feinde war damit deutlich erhöht. Die Sachsen benannten sich nach einem einschneidigen Haumesser; dem „Sachs“. Die Alemannen waren einfach alle kriegstüchtigen Männer. Im Begriff Franke steckt das germanische Wort preg, was frech, kühn, frei bedeutet.
Die so gebildeten größeren Aktionseinheiten hatten ein klares Ziel. Sie wollten Beute machen. Jenseits des Limes lag ein Paradies.
Im Jahre 258 d.c. wagten die Franken den Angriff. Geschwächt durch innenpolitischen Zwist und einen Teilabzug der Legionen, lag Roms nördliche Flanke frei. Den Barbaren gelang der Durchbruch. Noch aber griff die pax romana. Ganze Germanendörfer wurden nach Gallien deportiert. Zugleich spielte Rom die diplomatische Geige. Den nordischen Häuptlinge wurden Jobs beim Militär angeboten. Ihre Truppenführer erhielten Zugang zu hohen Kommandostellen.
Im 4. Jh. Dienten Franken in der gallischen Elite-Armee. Kurz vor dem Kollaps Roms waren sie in Generalstränge aufgestiegen und sogar Oberbefehlshaber des Reichsheers. Rom erschlaffte, es war müde geworden. Das Kämpfen überließ man gern anderen.
Der Plan, Pufferzonen zu bilden und Grenzreservate, gefüllt mit „Föderaten“, ging nicht auf. Die in Sold genommenen fränkischen Soldaten hielten engen Kontakt zu ihren Brüdern von jenseits des Rheins.
355 d.c. gelang es den Franken erstmals, die befestigte Stadtmauer von Köln zu erklimmen.
Die Angriffe gehen auf eine „missglückte Einbürgerung der Germanen“ zurück.
Die desolate Lage im 4. und 5. Jh. Hat aber auch demographische Gründe. Während Rom bereits Geburtenkontrolle aus Schweinedarm betrieb, vermehrten sich die Fremden von jenseits des Rheins stetig.“ Gebärmutter der Völker“ wurde der Norden genannt. Der Limes wirkte wie ein künstlicher Riegel, vor dem ein Bevölkerungsstau entstand.
Um 360 d.c. preschte erstmals ein ganzer Teilstamm über den Limes. Die vor Xanten siedelnden Salfranken drangen zur Schelde vor. Das römische Heer stoppte den Menschenpulk zwar. Doch wohin mit ihm? Man wies den Leuten Land in einem morastigen Gebiet in Südholland zu, Toxandrien genannt. In der Nähe wurde später Chlodwig geboren.
In einer kalten Silvesternacht 406 d.c., der Rhein war zugefroren, spazierten ganze über das Eis. Zu Zehntausenden drangen ostgermanische Vandalen und Sueben mit Ochsenkarren nach Westen vor. „Ganz Gallien rauchte als einziger Scheiterhaufen“, notierte ein Chronist.
Zwar versuchte die schwer angeschlagene Weltmacht, auch diese Stammes armeen noch zu bändigen. Man teilte ihnen Land und verpflichtete sie zum Militärdienst. Doch die ins Reich hineingebrandeten Großgruppen gehorchten nicht mehr richtig. Um 450 d.c. hatten sich in dem weiten Imperium germanische Machtzentren abgekapselt.
Als der Kaiser die Soldzahlungen fürs Militär einstellte, gingen auch die letzten Getreuen von der Fahne.
Eben noch Generäle in römischen Diensten, riefen sich die fränkischen Militärs nun zu Königen aus.
Das war die Stunde null in Europa. Das Mittelalter begann.
Der Kontinent war zum wüsten Machtvakuum verkommen, ein umgefallener Riese.
Chlodwig bediente sich am energischsten aus dieser Konkursmasse. Der Vater hatte noch als bezahlter Barbar von Roms Gnaden gedient, der Spross schwang sich nun selber zum Boss auf.
Mit Ochsenkarren drangen die Franken bis tief nach Gallien vor.
Zwischen 508 und 511 d.c. ließ Chlodwig die „Lex salica“ aufschreiben. Das fränkische Rechtsbuch diente vorrangig einem Zweck: Es wollte in Mordfällen verhindern, dass Blutfehden ausbrachen. Jeder Täter musste deshalb ein „Wergeld“ an die Hinterbliebenen zahlen.
Staffelung der Geldstrafen
Frönten die Merowingerkönige der Vielweiberei. Die so gezeugten Söhne waren allesamt erbberechtigt. Die Franken glaubten an die „Geblütsheiligkeit“ des eigenen Geschlechts. Also mordete die Sippe, um die Macht nicht zu zersplittern.
Erst die Karoliger, Karl der Große, stoppte den Verfall des Abendlandes.
Die Ressentiments der Deutschen lassen sich als narzisstische Kränkung erklären. Die germanischen Stämme, die bis nach Paris vorgestürmt waren, vergaßen am Ende ihre Verwandten vom Rhein.
Zum Schluss griff der Assimilierungsdruck der Bevölkerungsmehrheit in Gallien nämlich doch. In den Kontaktzonen gingen die Einwanderer im Laufe der Zeit eine kulturelle Synthese ein. Sie legten die rauen Bräuche ab.
Das gilt auch für die Mundart. Die Neueinsiedler sprachen anfangs Altfränkisch, die alten Einwohner Vulgärlatein. Innerhalb von 500 Jahren entstand so eine neue Sprache, das Altfranzösische. Mit diesem Schritt spaltete sich das Frankenvolk in Ost und West – und in zwei Zungen.
Der Spiegel

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