Montag, 1. Oktober 2007

Das Ich ist eine Einbahnstraße

Der Hirnforscher Gerhard Roth über das Entstehen von Persönlichkeit, die Schwierigkeit, sich und andere zu ändern, die neuronale Automatisierung menschlichen Verhaltens und das kollektive Scheitern der deutschen Pädagogik vor Hitler
DER SPIEGEL 35/2007

Man kann sich Disziplin von außen ankonditionieren lassen, aber kaum von selbst einhalten
Das Unbewusste ist eine Urform unseres Selbst; die psychische Grundausrüstung, mit der wir auf die Welt kommen. Man kann es auch Temperament nennen, eine Art Persönlichkeits-Ursuppe. Die Weichen stellt das limbische System, eine Art Schaltzentrale der Gefühle, das ab der sechsten Schwangerschaftswoche entsteht, dadurch wird die emotionale Klaviatur festgelegt, die dem Menschen später zur Verfügung steht. Den Eltern bleibt nur der Feinschliff.
Die Phase der bewussten sozialen Prägung dauert bis zum 20. Lebensjahr, bis dahin ist der orbitofrontale Cortex, in dem die Ergebnisse unserer Erziehung abgespeichert sind, ausgereift.

Wir sehen uns selbst immer nur so, wie es da Unbewusste, das Kleinkind in uns zulässt. Und das hat gelernt, wie es sich sehen muss, damit es sich gut fühlt.
Erziehung ist immer der Versuch, dieses entweder verbitterte oder großartige, narzisstische Kleinkind an Welt anzupassen.
Der Therapeut hat den Vorzug, nicht Tel des festgefügten Innenlebens Patienten zu sein. Er muss sich damit begnügen, neurotisches Elend in gewöhnliches Unglück zu verwandeln (Freud).
Das hypertrope, unersättliches Kleinkind, das auch durch zwei Nobelpreise oder 10 Milliarden Einkommen nicht befriedigt wird. Ausgesprochene Erfolgsmenschen und sensation seekers: deren Gehirn verlangt nach immer stärkeren Reizen für das Dopamin-System: mehr Sex, mehr Erfolg, mehr Drogen, immer auf der Überholspur, sonst bleiben die guten Gefühle aus. Irgendwann sind diese Menschen tot - oder sie vollziehen scheinbar plötzlich den kompletten Umschwung. In Wirklichkeit hat er sich unbewusst schon lange angebahnt. Das kennen wir aus der Physik als Phasenübergang: Bei scheinbar stabilen Systemen werden die Ausschläge immer größer, und plötzlich springen sie um in einen neuen Zustand.
Ein unentwickeltes Ego schwankt von äußerer Sinnstiftung zur inneren, in der Hoffnung auf Befriedigung. Die unreife Persönlichkeit hat noch nicht akzeptiert, dass wir alle mit einem minimalen Sinn des Lebens auskommen müssen. Was sie vorher im Rausch nicht fand, sucht sie in irgendwelchen Ideologien, an denen sie festhält. Denken Sie an die rechtsradikalen und wohl auch linksradikalen Jugendlichen: Die haben einfache Wahrheiten und schwache Egos.

Zur Kreativität und Intelligenz kann man kaum erziehen, die sind hochgradig angeboren.
Die meisten Hochbegabten sind nett und vielseitig. Menschen mit einer ausgeprägten Inselbegabung in Mathematik und Musik dagegen leiden statistisch häufiger unter Empathiedefiziten.
Die positiven Gefühle, die man erlebt, sickern aus Regionen, die unser bewusstes Handeln steuern, in die Basalganglien ein. Auf diese Weise verselbständigt sich alles, was wir häufig tun. So entstehen unsere sekundären Charakterzüge, sie werden mit zunehmendem Alter gefestigt.

Wenn Menschen erst einmal ihre Persönlichkeit ausgebildet haben, suchen sie sich fortan eher eine Umwelt, die zu ihnen passt, als dass sie sich ihrer Umwelt anpassen.

Dem Vorgesetzten bleibt nur das Mittel der Belohnung. Das Erste, was er rauskriegen muss, ist die Belohnungsstruktur seiner Mitarbeiter. Denn vom ersten Tag des Lebens an fragt unser Hirn: Lohnt sich das für mich?
Der Chef muss ein guter Psychologe sein: Der eine will Lob, der andere befördert werden, der Dritte Privilegien, der Vierte soziale Anerkennung, mit dem muss man jede Woche mindestens einmal redet.
Strafe geht nach hinten los. Meist wird sie als ungerecht empfunden; das erzeugt Rachegefühl.


Die "schwarze Pädagogik" mit ihrem Kasernendrill in Deutschland: man kann nicht sagen, das das Gros der Kriegsgeneration aus unserer heutigen Perspektive wirklich völlig normale Menschen waren.

DER SPIEGEL 35/2007

Keine Kommentare: