Mittwoch, 24. Oktober 2007

Die Anatomie des Irrtums

Immer wenn der Mensch eigene Fehler erkennt, zuckt eine rätselhafte Elektrowelle durch sein Hirn. Forscher sehen einen Mechanismus am Werk, der erklärt, warum Menschen zaudern, wie Neurosen entstehen und was Süchte sind. Liegt hier auch das Geheimnis der Intuition verborgen?

Eigene Irrtümer sind eine der kostbarsten Quellen derErkenntnis.
"Fehler sind das Tor zu neuen Entdeckungen" (James Joyce).

Unser Gehirn besitzt die faszinierende Fähigkeit, Fehler aufzuspüren und, falls sie bereits passiert sind, aus den Erfahrungen zu lernen.

"Error-related Negativity" (ERN): eine charakteristische Spannungswelle unter der Schädeldecke, die sich immer dann messen lässt, wenn das Hirn registriert, dass es einen Irrtum begangen hat. Das ERN-Signal flackert bereits auf, ehe der Mensch sich seines Fehlers überhaupt bewusst ist.
In einem bestimmten Ensemble von Nervenzellen fällt die Spannung um gute zehn Millivolt - und zwar bereits 100 Millisekunden nachdem der Mensch einen Irrtum begangen hat.
Plötzlich wird klar, warum der Mensch oftmals aus einem Bauchgefühl heraus einen bestimmten Fehler vermeidet.
Die Eriksen-Flanker-Aufgabe: SSHSS - SSSSS - HHSHH
Unmittelbar nach der ERN-Welle stellt das Mittelhirn schlagartig die Produktion des Glückshormons Dopamin ein.
Die Menschen ändern ihre Entscheidungsstrategie, sie beginnen aus ihren Fehlern zu lernen.
Diese schwierige Kalkulationen bewältigt das Gehirn online, also permanent, während es sich gleichzeitig mit vielen anderen Dingen beschäftigt.

Katastrophen: Kombination aus schlechter Vorbereitung und Stress.
Häufig es nur ein schmaler Grat zwischen der Katastrophe und dem Entdecken eines Fehlers (der Jumbocrash auf Teneriffa 1977).

Der Versuch mit dem Nicht-Hinschauen auf das aufleuchtende helle Licht (die Neugier des menschlichen Gehirns ist viel zu groß). Die Probanden machten immer wieder Fehler, korrigierten diese auch und verbesserten sich im Verlauf des Experiments. Auch die typische ERN-Welle durchzuckte, wie erwartet, ihre Großhirnrinde.
Ein großer Teil der Fehlerverarbeitung läuft im Unbewussten ab (ein neuronales Korrelat der Intuition).
Könnte es sein, dass zauderhafte Menschen einfach große Angst vor Fehlern haben während forschauftretende Macher ein vergleichsweise abgestumpftes Fehlerwarnsystem in ihrer grauen Hirnmasse haben?
Bei Menschen, die sich zwanghaft waschen oder einen anderen Kontrollzwang haben: "Bei ihnen ist das Überwachungssystem so mächtig, dass sie sich mit kaum etwas anderem beschäftigen können, als sich dauernd zu überwachen."
Am anderen Ende der Entschlossenheitsskala (Kokainabhängige oder Alkoholiker): "Nicht nur, dass sie sich häufig falsch entschieden, sie bemerkten ihre Fehler auch nicht, und vor allem: Sie änderten ihre Strategie nicht."
Hat der Alkohol erst einmal das Hirn vernebelt, fehlt die Fehlerwelle im Gehirn.
DS 38/2007 S. 180ff

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