Dienstag, 12. Mai 2009

Politik und Unwahrheit - Ist doch nur ein Spiel, Kinder!

Politik und Unwahrheit

Die Wahrheit ist uns abhanden gekommen, besser: es ist inzwischen allgemein bekannt, dass es keine Wahrheit gibt (Gottseidank wird von einigen klugen Köpfen hinzugefügt – denn da wo die Wahrheit noch in Worte gefasst wurde, wurde sie alleine vom Herrscher, bzw. seinem Beauftragten, einer Minderheit also, stets ausgesprochen und nie diskursiv ermittelt). Um dies herauszufinden, benötigen wir weder Nietzsche, der dies  Wahr manisch verkündet hat, noch Wittgensteins Theorie der Sprachspiele – („das Sprechen einer Sprache ist Teil einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“, nicht Wahrheit wird mitegeteilt, sondern Sinn hergestellt), noch überhaupt der gesamten geschichtlichen Weisheit.

Aber zwischen der Wahrheit und der glatten Lüge (eine Lüge, die spurlos durchgeht, keine Risse hinterlässt und eine Lüge, die zugleich sich durch ein Ausrutschen des Belogenen auszeichnet) liegen unzählige Welten des Möglichen: man muss also, nicht immer lügen, wenn es heißt die Wahrheit nicht zu sagen. Wenn systematisch die Lüge die Oberhand gewinnt, heißt es Vorsicht nehmen: wir sind dann im Reich der Illusionen – und wir leben eine Illusion aus (was an sich nichts verwerflich wäre, als ob es an sich etwas „verwerfliches“ gäbe). Traurig dabei könnte es nur sein, dass wir das eine Leben, was wir als Illusion ausleben, vielleicht auch anderes gestalten könnten – womöglich mit einem viel größeren Ausstoß an körpereigenen Endorphinen.

Die Wahrheit ist für die Politik stets als Sprosse auf der Leiter nach oben, nicht cursus honorum sondern illudo ergo domino ,stets etwas, was gemacht wird, und viel weniger etwas, das gesagt wird („tue, was ich sage, und sage nicht was ich tue“). Anderes kann Politik, das Leben in unfreiwilliger Gemeinschaft, gar nicht gedacht werden. Die Wahrheit wäre doch stets die, und hier wäre ein Rückgriff auf Nietzsche wohl angebracht, dass Leben in der Polis stets bedeutet „leben trotz“, des „überleben vor“ und des „warum eigentlich nicht?“: Eine winzige bessere Ausbildung für meine Kinder, ein unvermeintlich sozial bedeutungsloses Saphir an die Liebste, eine etwas bessere Mahlzeit.

Man müsste, wenn man denn könnte, die Politiker nicht an der Wahrheit messen, sondern in einer Skala, die am obersten Rande „Unverschämtheit“ und am untersten „mit der Gnade, die mir das menschliche Dasein per se vermittelt“ beschriftet werden könnte.

Ob es ein Unterschied denn gäbe zwischen der cäsarischen „politischen Unwahrheit“ und unserer, der „spätbürgerlichen“, modernen?

Zunächst der, dass die der Kaiser selbst, die Wahrheit schafft, indem er sie „sagt“. Die Dichotomie ist nicht Wahrheit und Lüge, sondern Wahrheit und Unterwerfung. Auch der kaiserliche Sklave, der Hausphilosoph, die Ehefrau und die Hetäre oder Konkubine, andere Ethnien und Bewohner anderer Landschaften werden ihre eigenen jeweiligen „Wahrheiten“ gehabt haben, aber wenn kaiserliche und unkaiserliche Wahrheit aneinandergeraten sind, wurden deren mehr an „Wahrheit“ nicht ermittelt – dies war eine Erfindung der Inquisition – sondern eine setzte sich durch, ausnahmslos mit Gewalt (möge sie auch unterwürfig dahergekommen sein, wie die christliche Wahrheit).

Der Kaiser selber währte solange, bis die „Masse“ darin die sinnvollste und effektivste Verkörperung der kollektiven Wünsche erblickte. Ab dem Augenblick, wo der Kaiser das Bild des „mehr“ nicht weiter bedienen könnte (mehr Land, mehr Frauen, mehr Getreide, mehr Wein, mehr Spiele und mehr Brot, mehr Sicherheit, mehr kollektiver Aufstieg) war sein Untergang besiegelt. Dies übrigens ist die Parallele die Hitler, Mussolini und sämtliche Diktatoren des 20 Jahrhunderts wohl erahnt haben: das Tausendjährige Reich, die Kolonialreiche, die „Fascien“ (die Gebündelten). Sämtliche Imperatoren, imperieren solange bis die Masse gewähren lässt, solange bis sie darin ihr sinnvollstes Fortkommen erblickt.

 Das ist der zweite große Unterschied: wenn die imperatorische Wahrheit nur noch als Aberglaube wahrgenommen werden konnte, musste der Imperator selber dran glauben – und hierin gleichen sich die römischen Kaiser ebenso sehr, wie sämtliche faschistische Harlekins des 20. Jahrhunderts und sämtliche nicht-faschistische Diktatoren. Die Verkörperung der Massenhoffnung wurde dann vernichtet, und zwar meistens körperlich. Der moderne, der spätbürgerliche Politiker muss nicht mehr physisch dran glauben. Auch er „erfindet“ Wahrheit wie geschmiert, aber er hat keine öffentliche Scham mehr, er legt den Dolch nicht mehr an sich selber an, greift nicht mehr zum Schierlingsbecher. Er dankt ab, zieht von dannen, kommt zurück in die beschützende „Masse“.

Wenn Imperatoren und Politiker Objekte der Öffentlichkeit (das modernere Wort für „Masse“) sind, dann muss an der Öffentlichkeit selbst etwas geschehen worden sein, dass diese Wende einleitet.

Wir könnten den Wendepunkt an der Inquisition ansetzen (es gibt eine Wahrheit, und diese Wahrheit lässt sich herausholen, wenn nötig auf dem Scheiterhaufen und auf der Folterkammer – dieses Bild des Teufel Bezähmung in der Folterkammer hat etwas Pathetisches und Rührendes). Und die Verankerung lässt sich gut an der ersten Menschenrechtserklärung festmachen: wenn alle Menschen gleich sind, werden meine Nachkommen mit sehr erhöhter Wahrscheinlichkeit selbst zum Götzenbild der kollektiven Träume – verständlich, dass ich meiner biologischen Nachkommenschaft nicht das Schicksal eines Nero, eines Julius Cäsars wünschen – es ist doch alles ein Spiel, Kinder! 

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